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Es droht der "radikale Umsturz kollektiver Sicherheitsstrukturen zu Gunsten eines unverhohlenen Anspruchs auf Vorherrschaft"

Von Frank Bsirske

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di, auf der Abschlusskundgebung in Berlin am 15. Februar 2003.

"Sorry, ich bin nicht überzeugt" - hat kürzlich der deutsche Außenminister erklärt.
Der Kriegskurs der USA und Großbritanniens gegen den Irak überzeugt ihn nicht!
In der Tat: Überzeugend ist an diesem Kriegskurs gar nichts! Folglich drängt sich der Eindruck auf, als komme es darauf auch gar nicht mehr an.

Saddam Hussein - dieser von den USA mit aufgerüstete Despot - kann machen was er will, für Washington scheint der Krieg beschlossene Sache zu sein. "Selbst wenn Saddam Hussein morgen ins Exil gehen sollte", sagt Bushs Sicherheitsbeauftragte Rice, "schließen wir eine Invasion nicht aus." Alternativpläne? Absolut zwecklos.

Kann es da verwundern, dass die Menschen hellhörig werden? Uns macht hellhörig, was wir aus dem inneren Kreis der amerikanischen Macht- und Militärelite hören. Ich zitiere: "Was Verteidigungsminister Rumsfeld sagt", mache ihn "ziemlich nervös", sagt zum Beispiel der kommandierende General des Golfkriegs von 1991, Schwartzkopff. Und der frühere Nato-Oberbefehlshaber in Europa, Clark, zeigt sich besorgt, ich zitiere, "was nach einem Irakfeldzug kommen soll. Manche Leute", so Clark wörtlich, "meinten, es wird eine Invasion Syriens sein." Zitat Ende.

Syrien? Das Pentagon musste kürzlich einen Berater ersetzen, der zu laut über Saudi-Arabien als nächstes Ziel nachgedacht hatte. Und wieder andere denken, so hört man, eher an Teheran. Wohin der Weg durch Bagdad anschließend auch immer führen wird - so ist eines doch unübersehbar: all diese Überlegungen kreisen um die Grundidee einer Unterwerfung des ganzen Mittleren Ostens unter das Sicherheitskonzept der USA.

Was aber - so fragen wir uns - treibt maßgebliche Teile der amerikanischen Machtelite in solche Debatten? Halten wir uns an die Fakten: angesichts eines in den nächsten 30 Jahren enorm ansteigenden Energiebedarfs in den USA - plus 60 % gegenüber heute - hat US-Vizepräsident Cheney, der Mann hinter Bush, der US-Politik kürzlich zwei herausragende Aufgaben gestellt: die Erdölimporte nachhaltig zu steigern und sie stärker auf verschiedene Weltgegenden zu verteilen - Weltgegenden freilich, die alle durch chronische Instabilität und Vorbehalte gegen die USA geprägt sind!

Kann es da ein Zufall sein, wenn zeitgleich eine neue US-Militärstrategie beschlossen wird, beschlossen in der erklärten Absicht, jederzeit militärisch eingreifen zu können? Wenn wir uns die Militärausgaben der USA anschauen, dann sind sie höher als die der 15 nächstgrößten Industriestaaten zusammengenommen. Und die USA machen auch gar keinen Hehl daraus, was sie damit bezwecken: nämlich absolute militärische Überlegenheit, wörtlich: "die Fähigkeit, jeden davon abbringen zu können, einen militärischen Kräftegleichstand auch nur anstreben zu wollen."

Die Bush-Regierung beansprucht mittlerweile ein Recht auf Angriffskriege. Und selbst den Einsatz von Atomwaffen - auch gegen Nicht-Atom-Mächte - will sie nicht länger ausschließen. Das, liebe Freundinnen und Freunde, ist die Lage!

Wenn vor diesem Hintergrund versucht wird, den Irak zu einer Bedrohung für die USA hochzustilisieren und die Notwendigkeit eines Präventivschlages zu begründen, dann trägt das schon absurde Züge. "Die Sache durch Blockaden und Inspektoren zu lösen", hat Rumsfeld der Süddeutschen Zeitung erklärt - ich zitiere: "das wird nicht funktionieren. Die gefährlichen Güter flutschen nur so über die Grenze. Der Irak bringt zum Beispiel große Müllwagen ins Land. Da kann man Abfall reinpacken, aber man kann auch den Container runternehmen und Raketen aufsetzen. Sie kaufen und entwickeln unbemannte Luftfahrzeuge. Damit kann man Felder düngen, aber auch Chemiewaffen versprühen. Wir können nicht warten, bis es einen neuen Angriff gibt ... verbrecherische Regime begründen einen Angriff nie." Zitat Ende. Soweit Rumsfeld.

Ich frage, was ist das für eine verquere Logik, der bereits der Import von Müllfahrzeugen ausreicht, um einen Präventivkrieg zu begründen.

Liebe Freundinnen und Freunde, was sich da auf der internationalen Bühne wirklich abspielt, ist der radikale Umsturz kollektiver Sicherheitsstrukturen zu Gunsten eines unverhohlenen Anspruchs auf Vorherrschaft. Indem die Bush-Regierung das Recht auf Präventivkriege beansprucht, hebt sie das Angriffsverbot der UNO-Charta aus den Angeln. Was sie an die Stelle der UNO-Ordnung setzt, ist eine Ordnung nach ihrem imperialen Gusto und Interessenverständnis. Danach wird gemacht, was nützlich erscheint, wie zum Beispiel Welthandelsorganisation, Weltbank oder das Jugoslawientribunal. Alles andere ignoriert oder sabotiert man, wie zum Beispiel das Kyoto-Protokoll, den Weltstrafgerichtshof, den ABM-Vertrag und mittlerweile auch die UNO-Charta.

Betrachten wir die Lage nüchtern, dann sieht es zurzeit ganz so aus, als sollte ein Irakfeldzug zum ersten wirklichen Belastungstest dieser Politik werden, zur ersten wirklichen Belastungsprobe und zur Feuertaufe, einer Feuertaufe, für die zehntausende von Opfern billigend in Kauf genommen werden, ebenso wie die Gefahr einer Palästinisierung der Konflikte im Mittleren Osten. Ist doch die militärische Überlegenheit der USA so überwältigend und wird auf Grund ihrer scheinbaren Allmacht in einer Weise benutzt, dass auf der anderen Seite nicht nur der Hass, sondern auch das Gefühl der Ohnmacht den Terrorismus zu einer bevorzugten Form der Auseinandersetzung machen dürfte. Die in diesem Muster gewachsene Eskalation des israelisch-palästinensischen Konflikts sollte allen eine Warnung sein.

Deshalb erheben wird heute unsere Stimme zum Protest. Deshalb setzen wir dem Kriegskurs der amerikanischen Rechten unseren Widerstand entgegen. Deshalb begrüßen wir das Nein aus Frankreich, Deutschland, Russland und China zu einem Irakkrieg. Und deshalb haben wir kein Verständnis für Politiker, die eine Beteiligung deutscher Soldaten an einem Angriffskrieg gegen den Irak befürworten.

Wir wollen an die Stelle eines Rechts des Stärkeren die Stärke des Völkerrechts gesetzt wissen. Dafür lasst uns gemeinsam einstehen. Setzen wir den Kriegstreibern unseren Protest entgegen, den Protest von Millionen von Menschen in der ganzen Welt, unser Engagement und unsere Kraft, die Kraft der internationalen Friedensbewegung!


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