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Rotlicht: Gewaltenteilung

Von Georg Fülberth *

Von Montesquieu (1689–1755) stammt die Lehre von der Trennung der drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative. Marx hielt davon wenig. In seiner Schrift »Der Bürgerkrieg in Frankreich« stellte er fest: »Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit.« Nach den Erfahrungen mit dem realen Sozialismus denken wir wohl inzwischen anders darüber. Andererseits zeigte Chile zwischen 1970 und 1973, dass ein revolutionärer Präsident an der Spitze der Exekutive durch ein nichtrevolutionäres Parlament blockiert werden kann.

Interessanter ist die Teilung zwischen politischer und ökonomischer Gewalt. Sie entspricht der Scheidung von Staat und Gesellschaft. Im Kapitalismus hat die Politik der Ökonomie zu dienen oder ihr wenigstens nicht im Weg zu stehen. Das heißt dann »marktkonforme Demokratie« (Merkel). Wo es mit der Selbstregulierung der Wirtschaft hapert, greift die Politik ein – im staatsmonopolistischen Kapitalismus ebenso wie im Bonapartismus. In Letzterem hält die Exekutive die Kapitalisten von der politischen Macht fern, erlaubt ihnen aber, Geschäfte zu machen. (siehe Putin)

Eine andere Art der hierarchischen Doppelherrschaft war die »Indirect Rule« in den Kolonien. Die europäischen Eindringlinge erkannten, dass sie die von ihnen Unterworfenen nicht allein niederhalten und ausbeuten konnten. Deshalb räumten sie von ihnen ausgesuchten Ethnien eine Art Unterherrschaft ein.

Ein Amalgam aus staatsmonopolistischem Kapitalismus, Bonapartismus und Indirect Rule beobachten wir gegenwärtig in der Europäischen Union. Das Monopolkapital dirigiert die Politik in den Einzelstaaten – mittels Parteispenden (auch illegale: einst 100.000 DM von einem Waffenschieber an Schäuble für die CDU-Kasse), der Medienmacht und der »Formulierungshilfe« von Konzernvertretern in den Ministerien bei der Gesetzgebung. Bonapartismus zeigt sich im Übergewicht der Exekutive, der Europäischen Kommission, gegenüber dem Parlament. Dieses hat nicht mehr zu sagen als der Reichstag unter den Kaisern Wilhelm. Deshalb bezeichnete Friedrich Engels deren Regime ebenfalls als Bonapartismus.

Eine Kombination aus diesem und Indirect Rule beobachten wir gegenwärtig in Griechenland. Parlament und Regierung haben dort offensichtlich zur Zeit keine andere Wahl, als Gesetze zu beschließen und zu exekutieren, die von auswärtigen Mächten diktiert werden. Die Bourgeoisie – Oligarchen und Privatgläubiger, deren faule Kredite längst von Öffentlichen Händen übernommen wurden – sieht ihre Interessen dadurch hervorragend gewahrt. In angemessenem Realismus hält das griechische Volk Alexis Tsipras offenbar weniger für seinen Ministerpräsidenten als seinen Betriebsrat. Die Unternehmensführung sitzt in Brüssel. Syriza spielt nicht die Rolle einer herrschaftsprivilegierten Ethnie oder einer Kompradorenbourgeoisie. Eher kann die Situation von Tsipras mit derjenigen des dänischen Sozialdemokraten Thorvald Stauning (1873–1942) verglichen werden. Seit 1929 Ministerpräsident, blieb er – jetzt als Chef einer Allparteienregierung – im Amt, als die Nazis 1940 das Land besetzten. Er soll verbliebene Spielräume gut genutzt haben.

Ob auch Tsipras diese Chance haben wird, ist offen. Schon als Kanzlerkandidatin propagierte Angela Merkel das »Durchregieren«. Das war damals noch innenpolitisch gemeint. In der Bundestagsdebatte am 17. Juli 2015 weitete sie diesen Anspruch aus: Auf Zusagen der griechischen Seite allein könne man sich nicht verlassen, es sei Kontrolle nötig. Hier lassen sich Merkmale einer Besatzungsherrschaft erkennen. Diese kann direkt oder indirekt ausgeübt werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich offenbar um die zweite Variante. Sie erinnert an die vier Besatzungszonen in Deutschland 1945–1949: Früh wurden Landesregierungen installiert und bald auch Parlamente gewählt. Sie waren an Direktiven gebunden. Gleiches galt für das Wirken des Parlamentarischen Rates 1948/49.

Damals ging es um eine Demokratisierung. Heute ist mit dem Gegenteil zu rechnen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. Juli 2015


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