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Heimliche TTIP-Skepsis im Kabinett

Dokument offenbart Bedenken gegen geplante »Kooperation« mit USA ohne Parlamentsbeteiligung

Von Jana Frielinghaus *

Nach außen demonstriert die Bundesregierung Entschlossenheit und Zuversicht: In einem Zeitungsbeileger für das gemeine Volk warb das Kabinett von CDU, CSU und SPD erst kürzlich wieder für die »Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft« TTIP, über die Vertreter der EU-Kommission mit Repräsentanten der USA verhandeln.

Ein vom Recherchebüro »Correctiv« veröffentlichtes vertrauliches Protokoll belegt jetzt, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Minister wider besseres Wissen die infolge des Abkommens zu erwartende Entdemokratisierung wegdiskutieren. In dem Bericht eines deutschen Regierungsvertreters für das Bundeswirtschaftsministerium über ein Treffen zwischen Vertretern der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten im Januar 2015 wird davor gewarnt, dass nach TTIP-Abschluss weitreichende Beschlüsse ohne parlamentarische Zustimmung gefasst werden könnten. Offiziell betonte die Regierung bislang, bei der geplanten »regulatorischen Kooperation« zwischen EU und USA würden das Europäische Parlament und nationale Parlamente eingebunden.

Bei der »regulatorischen Kooperation« sollen im Rahmen von TTIP Pläne etwa zur Einführung neuer Umweltstandards auf beiden Seiten des Atlantiks abgestimmt werden. Zwar soll zumindest das Europäische Parlament seine Zustimmung zum fertig ausgehandelten Vertrag geben. Er soll jedoch als »Living Agreement« gestaltet werden. Das bedeutet, dass in speziellen Gremien wie dem »Rat für regulatorische Kooperation« (Regulatory Cooperation Body, RCB) nach seiner Inkraftsetzung weitreichende Ergänzungen und Änderungen vorgenommen werden könnten, ohne dass die Abgeordneten zustimmen müssten.

Die Bundesregierung hat diese Gefahr bislang immer abgestritten. So heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag vom September 2014, regulatorische Kooperation sei lediglich ein »Austausch zwischen Regulierungsbehörden«. Dem von »Correctiv« öffentlich gemachten Verhandlungsprotokoll zufolge warnt die deutsche Seite dagegen explizit davor, dass ein Regulierungsausschuss »seinerseits Annexe ändern und hinzufügen und sonstige Entscheidungen treffen solle«.

Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, die das Dokument am Montag verbreitet hatte, monierte, die Regierung führe die Öffentlichkeit »in die Irre«. Dabei wisse sie »in Wahrheit offenbar sehr genau«, dass nach Vertragsabschluss »Expertengremien ohne jede parlamentarische Zustimmung« Maßnahmen beschließen könnten, »etwa Vorgaben zur Lebensmittelkennzeichnung oder zur Zulassung von Chemikalien«, sagte Lena Blanken, Volkswirtin bei Foodwatch, in Berlin.

Unterdessen sorgt im Bundestag ein Bescheid der US-Botschaft für Aufregung. Sie hatte auf Anfrage von Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) mitgeteilt, man könne Bundestagsabgeordneten keinen Zugang zu sogenannten konsolidierten Aufzeichnungen zu den TTIP-Verhandlungen gewähren. Vertreter der Opposition zeigten sich empört. »Das ist eine Fortsetzung der Hinterzimmermauschelei«, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter der Berliner Zeitung (Dienstagausgabe). Lammert hatte in einem Schreiben an Botschafter John Emerson die US-Regierung aufgefordert, den Abgeordneten in geeigneter Weise Zugang zu den Unterlagen über den Stand der Verhandlungen zu gewähren, die derzeit in einem speziellen Leseraum der Botschaft nur für ausgewählte Regierungsvertreter bereitgehalten werden. Das sei nicht vorgesehen, teilte die Botschaft nun knapp mit.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. Juli 2015

Heribert Prantl in der SZ:

Der Vertrag ist als "living agreement" geplant, als lebendes, lebendiges Abkommen - als völkerrechtliches Abkommen, das nach der Ratifikation noch wächst, das sich verändert, das sich fortentwickelt.
Der TTIP-Vertrag soll nämlich von Expertenkommissionen (vor allem dem Rat für regulatorische Kooperation/Regulatory Cooperation Body RCB) laufend fortgeschrieben, verändert und neuen Entwicklungen angepasst werden. Diese Expertenkommissionen sollen weitreichende Ergänzungen und Anhänge zum TTIP-Vertragswerk schreiben können - ohne dass die Parlamente diesen Änderungen zustimmen müssen. Der Vertrag könnte also nach seiner Ratifizierung ohne parlamentarische Mitwirkung grundlegend umgestaltet werden. Die Expertenkommissionen sollen allein mit Vertretern der Regierungen und Verwaltungen besetzt sein.

Kommentar: "TTIP und die Froschlurche" vom 26. Juli 2015 in der Süddeutschen Zeitung.


Weniger Probleme sieht dagegen der BDI (Bundesverband der deutschen Industrie e.V.) in den Regelungen:

Positionspapier (des BDI):

Regulatorische Zusammenarbeit in der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP): Fokus Industriegüterhandel
Positionspapier des BDI, Juli 2015 [externer Link]




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