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Aktionstage in der Heide

Sachsen-Anhalt: Aktivisten haben Antikriegscamp bei Letzlingen errichtet. Polizei will "versammlungsfreundlicher" sein als in den Vorjahren

Von Susan Bonath *

Seit dem Wochenende protestieren etwa 50 Antimilitaristen in der Ortschaft Potzehne in der Colbitz-Letzlinger Heide. Mit ihrem vierten Camp unter dem Motto »War starts here« (Krieg beginnt hier) in Sachsen-Anhalt wehren sie sich gegen die Aufrüstung des nahen Truppenübungsplatzes Altmark, der zum Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Heer mit Kommandozentrale in Letzlingen gehört. Themenschwerpunkte bei Workshops seien Manöver mit Bundeswehrbeteiligung in der Ukraine sowie die europäische Flüchtlingspolitik, sagte der Sprecher der Bürgerinitiative »Offene Heide«, Helmut Adolf vor Medienvertretern. Für Samstag ab 14 Uhr planen die Aktivisten Mahnwachen in Letzlingen und Dolle an der Grenze zum militärischen Sperrgebiet. Die Organisatoren kündigten zudem spontane Aktionen an. Im Gegensatz dazu soll es in Letzlingen auch eine »Pro-Bundeswehr-Veranstaltung« lokaler Akteure geben.

Die Polizei will weniger massiv als in den vergangenen Jahren auftreten. 2014 waren rund 1.000 Beamte aus mehreren Bundesländern im Einsatz. »Das Camp ist kleiner, die Organisatoren haben sich kooperativ gezeigt«, begründete der Sprecher der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord, Marc Becher, auf Nachfrage die »versammlungsfreundliche Taktik«. Denn wie der Leiter des Landesverfassungsschutzes Sachsen-Anhalt, Jochen Hollmann, mitteilte, »sind Mobilisierungen in der linksextremen Szene weitgehend ausgeblieben«. Aufrufe, das Militärgelände zu entern, gebe es nicht. »Der Protest hat in jedem Fall nicht das Ausmaß der vergangenen Jahre«, so Hollmann. Allerdings habe die Polizei eine Reiterstaffel angefordert, erläuterte Becher. »Wir stehen auch in engem Kontakt mit Landkreis und Bundeswehr.« Eine gemeinsame zivil-militärische Pressestelle werde es aber nicht erneut geben.

Auch die Bundeswehr bereitet sich auf einen Einsatz vor. »Einige hundert Soldaten werden den Übungsplatz und den Kasernenbereich bewachen«, war dem Sprecher des Landeskommandos Sachsen-Anhalt, Thomas Poloczek, am Mittwoch zu entlocken. Man sei »darauf eingestellt, dass auch in diesem Jahr Protestler versuchen werden, auf den Platz zu gelangen«. Für derlei »Ordungswidrigkeiten« im vorigen Jahr wurden über 70 Bußgelder in Höhe von 400 bis 500 Euro verhängt. Etliche Aktivisten haben sich dagegen gewehrt. Bisher habe es keine »Zwischenfälle« gegeben, freute sich Poloczek. Das könne sich aber noch ändern. Er ergänzte, dass seines Wissens neben den Mahnwachen in Dolle und Letzlingen eine weitere Aktion an der Baustelleneinfahrt zu »Schnöggersburg« nördlich von Dolle an der B189 geplant sei.

Mit »Schnöggersburg« entsteht derzeit auf dem 232 Quadratkilometer großen Militärareal eine 6,5 Quadratkilometer große Übungsmetropole im westlichen Stil. Ab 2017 sollen dort bis zu 1.500 Soldaten pro Übung für »Operationen in bebauten Gebieten« ausgebildet werden. Wie das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr vor einigen Tagen mitteilte, sollen dazu 520 Gebäude, Straßen, Plätze, ein Industriegebiet einschließlich Wasser- und Umspannwerk gehören. Zudem werden eine U-Bahn, Flugplatz, Stadion und weitere »typische Infrastruktur eines urbanen Ballungsraums« um einen künstlichen Fluss herum gebaut. Anfang dieses Jahres bezifferte die Bundeswehr die Kosten mit knapp 130 Millionen Euro. Im GÜZ Heer erhalten etwa 25.000 Soldaten pro Jahr den letzten Schliff für Kriegseinsätze im Ausland. Betrieben wird der Platz vom Rüstungskonzern Rheinmetall. Antimilitaristen befürchten, damit bereite sich die Armee auch auf die Niederschlagung befürchteter sozialer Unruhen in westlichen Großstädten vor.

Im Sommer 2014 hatten Kriegsgegner Bagger und weitere Baumaschinen auf der Baustelle »Schnöggersburg« lahmgelegt und Gebäude mit Farbe besprüht. Auch Schienen seien freigelegt worden. Die Bundeswehr spricht von einer halben Million Euro Schaden. Täter wurden bisher nicht gefasst. Die Bußgeldbescheide erhielten unterdessen Aktivisten der Initiative »Gewaltfreie Aktion – GÜZ abschaffen«, die friedlich die Sperrzone betreten hatten. Außerdem bringt das Militär einen Brandanschlag auf eine Kaserne im rund 70 Kilometer entfernten Havelberg mit dem War-starts-here-Camp im Sommer 2013 in Verbindung. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt hat aber bislang keine entsprechende Spur gefunden.

www.war-starts-here-camp-2015.org

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Juli 2015


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