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Krieg beginnt in Schnöggersburg

Sachsen-Anhalt: Einwöchiges antimilitaristisches Camp in der Colbitz-Letzlinger Heide ab Samstag

Von Susan Bonath *

Die erste U-Bahn kommt nach Sachsen-Anhalt. Jedoch wird sie nicht der Bevölkerung dienen, sondern, neben Flugplatz, Stadion, Wohn-, Kultur-, Industrie- und Elendsviertel, Bestandteil von »Schnöggersburg« werden. Ab 2017 sollen Soldaten in der noch im Bau befindlichen 6,5 Quadratkilometer großen Geisterstadt auf dem Truppenübungsplatz Altmark des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) Heer, zwischen Magdeburg, Gardelegen, Colbitz und Letzlingen, den Krieg in den Metropolen proben. Vor allem dagegen werden ab Samstag wieder Antimilitaristen protestieren. Am 25. Juli errichten sie bei Potzehne, etwa zehn Kilometer westlich von Letzlingen, wo sich die GÜZ-Kommandozentrale befindet, das vierte einwöchige Antikriegscamp unter dem Motto »war starts here« (der Krieg beginnt hier).

»Mit der Baustelle der gigantischen Übungsstadt, die der Erprobung städtischer Aufstandsbekämpfung dienen soll, gewinnt der Truppenübungsplatz immer mehr an Bedeutung für die NATO und künftige Kriege«, heißt es im Aufruf. Dieser »zentrale Ort der Kriegsvorbereitung« müsse noch sichtbarer werden. Mit unterschiedlichen Aktionen solle »der militärische Normalbetrieb« gestört und blockiert werden.

Im Mittelpunkt stehen Workshops zu den Themen »deutsche Rüstungsindustrie und die Verquickung mit der Politik«, »neuer Kalter Krieg« sowie »Militarisierung der Jugend«. Militärische Events würden – wie beim »Tag der Bundeswehr« Anfang Juni – als »Attraktion für die ganze Familie« ausgerichtet. Schulklassen pilgerten zu militärischen Übungszentren und ließen sich von Jugendoffizieren »unterrichten«, so die Aktivisten. Auch in der Colbitz-Letzlinger Heide bemüht sich die Truppe um Nachwuchs. Vorige Woche hatte sie zum siebten Mal ein »Biwak-Sommerferiencamp« für Letzlinger Grundschüler auf ihrem Gelände in der Altmark organisiert, unter anderem mit Wettkämpfen, Gleichschrittprobe, Militärshow und Kremserfahrt. Die Verbindungen der Schule zur »Patenkompanie« des Heeres würden immer enger, freute sich Schulleiterin Silvia Lehmann in einem Bericht der Altmark-Zeitung vom 17. Juli. Mehrere jährliche »Höhepunkte« wie dieser böten den Sechs- bis Elfjährigen »eine willkommene Abwechslung zum Schulalltag«.

Den »unkritischen Umgang mit der Bundeswehr« beklagt auch die Bürgerinitiative »Offene Heide«, die die Antikriegswoche veranstaltet. Deren Sprecher Helmut Adolf nannte gegenüber jW am Montag weitere Programmpunkte. So wird die »Tour de Natur«, eine Radtour, die am 25. Juli in Braunschweig starten und am 8. August in Jänschwalde bei Cottbus enden soll – vom 29. bis 30. Juli im Camp Halt machen. Am Mittwoch abend wird der Sänger und Gitarrist Axel Stiller mit Liedern von Gerhard Gundermann dort auftreten. Tags darauf findet ab 10.30 Uhr auf dem Rathausplatz in Gardelegen eine gemeinsame Friedenskundgebung statt. Wie in den zurückliegenden Jahren gibt es wieder einen Aktionstag, diesmal am Samstag, dem 1. August. Geplant sind ganztägige Mahnwachen in Letzlingen auf der Westseite und in Dolle auf der Ostseite des GÜZ und individuelle Auftritte. Adolf rechnet mit 50 bis 100 Teilnehmern. In den Vorjahren hatten sich zwischen 200 und 300 Kriegsgegner engagiert.

Mit einer geringeren Zahl rechnet auch die Polizei. Hundertschaften aus anderen Bundesländern wären diesmal nicht angefordert, sagte Marc Becher, Sprecher der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord, der Volksstimme (Montagausgabe). Auf jW-Nachfrage wollte dessen Kollegin Beatrix Mertens noch nichts zur Einsatzplanung verraten. Zu entlocken war ihr aber, dass man erneut mit Reiterstaffeln anrücken werde. In den letzten drei Jahren hatten Behörden und Militärs intensiv zusammengearbeitet. Bis zu 1.000 Polizisten waren vor Ort. Einigen Aktivisten, die im vergangenen Sommer unerlaubt das militärische Sperrgebiet betreten hatten, stehen noch Prozesse bevor. Im Frühjahr hatte die Bundeswehr 70 Bußgeldbescheide in Höhe von 400 bis 500 Euro an sie verschickt, gegen die Widerspruch eingelegt wurde.

http://www.war-starts-here-camp-2015.org/

* Aus: junge Welt, Dienstag, 21. Juli 2015


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