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China treibt Asien voran

Schanghai-Organisation auf dem Weg zur Weltmacht. Trotz Börsenturbulenzen behauptet die Volksrepublik ihre ökonomische Dominanz

Von Wolfgang Pomrehn *

In der russischen Stadt Ufa ging am Sonntag der Gipfel der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit zu Ende (jW berichtete). Dessen Kürzel SCO sollte man sich merken. Mit der eingeleiteten Aufnahme Pakistans und Indiens ist dort eine eurasische Union im Entstehen, die mehr als ein Drittel der Menschheit umfasst und sich längst nicht mehr auf ihren ursprünglichen Zweck – Abbau der Spannungen an den Grenzen und Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Drogenhandel, Terrorismus und Unabhängigkeitsorganisationen – beschränkt.

Treibende Kraft

Den Beteiligten, insbesondere dem unter westlichen Sanktionen leidenden Russland und dem am Aufbau einer neuen »Seidenstraße« arbeitenden China, geht es auch um eine Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperation. Chinas Präsident und KP-Chef Xi Jinping drängte die sechs Mitglieder – Russland, China, Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan – und die Beitrittskandidaten, die industrielle Kooperation zu vertiefen und in allen Ländern neue Industrieparks anzulegen. Helfen könnte dabei sicherlich die kürzlich gegründete und unter chinesischer Führung stehende Asiatische Bank für Infrastrukturinvestitionen. China ist unter anderem bestrebt, die Verkehrswege in die Nachbarländer und über Zentralasien nach Europa auszubauen, wobei großes Gewicht auf schnellere Eisenbahnen gelegt wird. Indien wiederum hat Probleme, seinen Energiebedarf zu decken, und ist besonders an einem Anschluss ans zentralasiatische Pipelinenetz interessiert.

Auf dem Gipfel wurde auch der Kreis der Beobachterstaaten und Dialogpartner erweitert. Die Türkei, Sri Lanka, die Mongolei, der Iran und Belarus (Weißrussland) sind bereits dabei, neu hinzu kamen Aserbaidschan, Armenien, Nepal und Kambodscha. Ein Kommentator der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua hatte im Vorfeld des Gipfels ausdrücklich verneint, dass es sich bei der SCO um ein antiwestliches Bündnis handele. Der Westen können vielmehr von der Gruppe lernen, wie gleichberechtigte Zusammenarbeit funktioniere. Das war einige Tage bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag Griechenland demütigte und die deutsch-französische Version der »Entente cordial« aufkündigte. Marktturbulenzen gedämpft

Derweil haben sich die chinesische Aktienmärkte wieder etwas erholt. Seit Juni dieses Jahres gingen dort rund 30 Prozent an Marktkapitalisierung der notierten Werte verloren, vergangenen Mittwoch waren sie regelrecht abgestürzt. Die Regierung in Peking hatte mit verschiedenen Maßnahmen eingegriffen. Unter anderem war zeitweise der Handel mit über der Hälfte aller Aktien ausgesetzt worden. Auch am Montag waren die Anteilsscheine von über 800 Unternehmen eingefroren. Außerdem wurden neue Börsengänge ausgesetzt. Personen und Gesellschaften, die mehr als fünf Prozent an einem Unternehmen halten, dürfen ihre Beteiligung derzeit nicht veräußern.

Hintergrund des turbulenten Börsengeschehens in Schanghai und in Hongkongs Nachbarstadt Shenzhen ist ein gewaltiger Run auf Aktien, der die erste Jahreshälfte dominiert hatte. Der Marktwert börsennotierter chinesischer Kapitalgesellschaften hatte sich seit Januar annähernd verdoppelt, ohne dass es in der Realwirtschaft einen offensichtlichen Grund wie gestiegene Gewinne oder entsprechende Umsatzsteigerungen gab. Einer der Gründe scheint ein eigenartiges, jetzt ausgesetztes System zu sein, das dazu führte, Börsenkapital regelrecht aufzublähen: Kommerzielle Aktienhändler hatten darin die Möglichkeit, ihren Kunden einen umfangreichen Kredit zu gewähren. Mit einem Einsatz von beispielsweise 2.000 Yuan (knapp 300 Euro) konnten die Händler auf den Namen der Kunden Aktien im Wert von 10.000 Yuan kaufen. Im Juni soll die so in den Finanzmarkt gepumpte Kreditsumme umgerechnet rund 260 Milliarden Euro betragen haben.

Blase oder Systemfehler

Die Frage ist nun einerseits, ob die Börsenkurse durch die staatlichen Eingriffe der letzten Woche bereits beruhigt sind. Vermutlich werden die Regulatoren auf jeden Fall versuchen, diese in kleineren Schritten etwas weiter nach unten zu treiben. Vorerst haben sie jedoch ausgewählte Händler mit Zentralbankgeld ausgestattet, um die Kurse zu stützen.

Andererseits ist offen, was das alles für die Realwirtschaft bedeutet. Beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist man relativ entspannt und befürchtet keine negativen Auswirkungen. Da habe sich eine Blase aufgebläht, die habe platzen müssen, meinte letzte Woche IWF-Berater Olivier Blanchard auf einer Pressekonferenz des Fonds in Washington. Ansonsten sei die Bedeutung des Aktienmarktes für die chinesische Wirtschaft begrenzt. Die Marktkapitalisierung der Aktiengesellschaft sei im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt »viel kleiner als zum Beispiel in den USA«.

Unterdessen berichtet die Nachrichtenagentur Xinhua, dass die chinesischen Exporte im Juni – anders als von den meisten Beobachtern erwartet – höher als im Juni 2014 lagen. Um immerhin 2,8 Prozent hätten sie zugelegt. Für die Einfuhren gilt das allerdings nicht. Diese gingen weiter zurück, wenn auch nicht ganz so stark wie befürchtet. Um immerhin 6,8 Prozent sind die Importe gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Der Juni war damit der achte Monat in Folge, in dem jeweils weniger Waren ins Land kamen. Offensichtlich sind die chinesischen Konsumenten nicht so kauffreudig, wie Ökonomen und Regierung es gerne hätten. Die Führung in der chinesischen Hauptstadt setzt seit mehreren Jahren darauf, den Binnenmarkt stärker auszubauen. Aber offensichtlich führen gestiegene Löhne nur bedingt zu mehr Nachfrage nach eingeführten Waren.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 14. Juli 2015


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