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"Gysis Rückzug hatte sich schon angedeutet"

Die Bundestagsfraktion der Linkspartei wird demnächst wahrscheinlich von Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch geleitet. Gespräch mit Jan van Aken *


Jan van Aken ist Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

Der bisherige Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi, stellt sich im Herbst nicht zur Wiederwahl – das ist wohl das markanteste Ergebnis des Parteitages der Linken in Bielefeld. Hat es Sie überrascht?

Nein, es hat mich nicht wirklich überrascht, diese Entscheidung hatte sich ja angedeutet. Das konnte man erwarten, wenn man das halbe Dutzend Interviews gelesen hat, das Gregor Gysi in der vergangenen Woche gegeben hat.

Man fragt sich, warum Gysi es so spannend gemacht hat, um seinen Rückzug zu verkünden.

Ich finde es völlig richtig, wie er vorgegangen ist. Er hat seine Entscheidung dem Parteitag als unserem obersten Organ mitgeteilt und nicht zuvor irgendwelchen Journalisten. Das war der einzig richtige Weg.

Oder wollte er etwa ausloten, welchen Rückhalt er mit seinem SPD-freundlichen Kurs noch hat?

Nein, das macht doch keinen Sinn. Seine Entscheidung war schon vor dem Parteitag gefallen.

Welche Rolle, meinen Sie, kann Gysi künftig in der Partei spielen? Immerhin hatte er angekündigt, dass er sich in die kommenden Wahlkämpfe kräftig einmischen will.

Da bin ich gespannt, er wird auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen. Ob das formal oder eher informell sein wird, kann ich wirklich nicht sagen. Ob er als Spitzenkandidat für die nächste Bundestagswahl antreten würde, ist auch fraglich. Jedenfalls hat er in seiner Rede gesagt, er werde erst in einem Jahr entscheiden, ob er überhaupt noch einmal zur Wahl antritt.

Wie geht es weiter in Sachen Fraktionsvorsitz?

Am Montag kommender Woche wird der geschäftsführende Parteivorstand darüber in Berlin beraten. Er wird einen Vorschlag machen, und alles deutet in die Richtung, dass Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gemeinsam die Fraktionsführung übernehmen sollten. Sicher ist das natürlich auch nicht, wir müssen also abwarten. Das letzte Wort dazu hat natürlich die Fraktion selbst.

Personalfragen sind ein beliebtes Interviewthema nach Parteitagen – sie sollten aber nicht die Inhalte überdecken, die die Delegierten in Bielfeld diskutiert haben. Worum ging es im wesentlichen?

Sehr wichtig war die gründliche Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen, sie verlief sowohl in der Form als auch inhaltlich auf einem sehr, sehr hohen Niveau. Gegner wie Befürworter haben die Gelegenheit genutzt, intensiv ihre Argumente auszutauschen. Natürlich ist nicht darüber abgestimmt worden, es war auch erst einmal nur eine Debatte. Das Thema wird uns aber auf jeden Fall weiter beschäftigen.

Inhalte werden auch von Personen transportiert, vor allem denjenigen, die an der Spitze von Partei und Fraktion stehen. Sähen Sie die Einhaltung der »roten Linien« der Partei mit einer Doppelspitze Wagenknecht/Bartsch als sicherer als bisher?

Ich finde es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Parteiführung nicht aus diesen beiden, sondern aus Katja Kipping und Bernd Riexinger besteht. Jedenfalls wäre die erwähnte Doppelspitze ein neues Modell. Die Fraktion würde dann nicht mehr – wie bei Gysi oder bei den beiden Vorsitzenden – aus der »Mitte« der Partei heraus geleitet, sondern von den politischen »Polen« her. Bin gespannt, wie das funktioniert.

Noch einmal zu den »roten Linien«: eine von ihnen ist die unumschränkte Absage an Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland. Es hat immer wieder aus der Partei heraus Versuche gegeben, dieses Verdikt zu relativieren. Könnte man sich nicht als Kompromiss für das Beispiel Österreich erwärmen? Dessen Militär ist lediglich als Friedenskorps im Rahmen der UN im Einsatz.

Ich bin gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Lediglich klassische UN-Einsätze wie in Zypern könnte ich mir vorstellen: Es gibt einen Friedensvertrag, dem beide Seiten zustimmt haben, und der durch unbewaffnete »Blauhelme« abgesichert wird. Solch ein Einsatz müsste gemäß Kapitel sechs der UN-Charta stattfinden. Alle jetzigen Auslandseinsätze laufen unter sieben – das heißt mit »robustem Mandat«, also mit einer Ermächtigung zum Kampfeinsatz.

Interview: Peter Wolter

* Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juni 2015


"Trübe Brühe"

Mit Gregor Gysi kündigte ein Verfechter der Regierungsbeteiligung der Linken seinen Rücktritt an. Auf Parteitag bringt sie sich trotzdem dafür in Stellung

Von Andreas Wehr **


Es sollte ein Arbeitsparteitag werden, ohne Wahlen zum Parteivorstand und ohne die Aufstellung von Kandidaten für öffentliche Mandate. Die Delegierten des Bielefelder Parteitags der Partei Die Linke wollten sich am Wochenende endlich einmal ausführlich mit Inhalten beschäftigen, etwa mit kommunalpolitischen Leitlinien. Doch es kam anders. Von Beginn an war das Zusammentreffen von der Ungewissheit bestimmt, ob Gregor Gysi das Amt des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion aufgibt oder doch lieber weiterführt.

Bis zu seiner Rede ganz am Schluss der Veranstaltung versuchte man, die Spannung aufrechtzuerhalten. Ein Geschäftsordnungsantrag, seinen Beitrag auf den Sonnabend vorzuziehen, wurde mit 241 gegen 169 Stimmen abgelehnt. Damit sollte dem scheidenden Fraktionsvorsitzenden nicht nur das letzte Wort in Bielefeld überlassen bleiben, noch wichtiger war der Parteitagsregie die Vermeidung einer kontroversen Debatte über die jüngsten Äußerungen Gysis. Er hatte gesagt, über eine Beteiligung der Partei an der nächsten Bundesregierung könne man »noch schneller die Dinge so verändern, wie es von unseren Wählern erwartet wird«. Geht es nach Gysi, solle man dann auch bei der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr mit sich reden lassen (siehe junge Welt am 4. Juni). Vor allem der linke Parteiflügel zeigte sich entsetzt über diese Aufweichung der Grundsatzposition einer klaren Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Doch auch ohne den scheidenden Fraktionsvorsitzenden behielt die vom »Forum demokratischer Sozialismus« angeführte Parteitagsmehrheit die Herstellung der Regierungsfähigkeit auf Bundesebene 2017 fest im Blick. Das zeigte sich bei der Beratung des Leitantrags und der darin enthaltenen Aussage zum aktuellen Konflikt in der Ukraine. Es wird von einer gleichberechtigten Verteilung der Schuld von USA und NATO sowie Russland an der Eskalation ausgegangen, das heißt von einer Äquidistanz: »Der Bürgerkrieg in der Ukraine wurde von beiden Seiten befeuert«, heißt es im Text. Es wird zwar Anstoß daran genommen, dass die USA Waffen an die Ukraine liefern und die NATO- und EU-Staaten Ausbilder schicken, doch auch »Russland ist zu kritisieren, weil es zum Beispiel durch die Unterstützung der Separatisten an der militärischen Eskalation aktiv beteiligt ist. Zudem war die Einverleibung der Krim ein Bruch des Völkerrechts.«

Die Mehrheit des Parteitags zeigte sich damit unwillig, Rahmen und Hintergrund des Konflikts zur Kenntnis zu nehmen. So ist doch vielmehr der Kampf um die Ukraine nur ein Detail der systematisch seit Jahren von den USA, der EU und der NATO verfolgten Strategie der Einkreisung und Schwächung Russlands. Doch eine solche Sicht würde eine schwer zu überwindende Hürde bei künftigen Regierungsverhandlungen mit SPD und Grünen errichten. Anträge aus dem linken Parteienspektrum, hier klar und unmissverständlich Ross und Reiter zu benennen, wurden dementsprechend nicht behandelt, etwa das Papier »Frieden statt NATO – Für eine Weltfriedenskonferenz«. In diesem wird gefordert, einen offenen Brief an Michael S. Gorbatschow zu richten, in dem er gebeten wird, eine Weltfriedenskonferenz einzuberufen. Man überwies sie an den Parteivorstand.

Dem Anspruch auf eine Beteiligung an der Bundesregierung dient auch die Beschwörung eines »grundlegenden Politikwechsels« im beschlossenen Leitantrag, den man zusammen mit SPD und Grünen meint erreichen zu können: »Im nächsten Jahr werden die Grundlagen gelegt für die Bundestagswahl 2017. Die gesamte Partei wird dafür kämpfen, so dass Die Linke gestärkt das kommende Jahr beendet: in Ost und West, in Regierung wie Opposition, in den Ländern und im Bund. Die Botschaft ist: Die Linke ist die Alternative zur großen Koalition.«

Es war Sahra Wagenknecht, die die Delegierten an die Wirklichkeit erinnerte. Sie verwies auf die real existierende SPD, die unter ihrem Parteivorsitzenden und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Erpressungspolitik gegenüber der griechischen Regierung unterstützt, keine Änderungen an dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA vornehmen will und jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr billigt. Sie erinnerte an die Politik von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, die, statt Leiharbeit zu bekämpfen, mit dem »Tarifeinheitsgesetz« lieber das Streikrecht einschränkt. Unter dem großen Beifall der Delegierten rief sie mit Blick auf die in der Partei verbreiteten Sehnsüchte nach einer Regierungsbeteiligung aus: »Die Linke ist nicht gegründet worden, um in dieser trüben Brühe mitzuschwimmen.«

Der linke Parteiflügel konnte sich bei der Schlussabstimmung über den Leitantrag dennoch nicht auf eine einheitliche Haltung verständigen. Während die »Antikapitalistische Linke« ihn ablehnte, gab es aus den Reihen der »Sozialistischen Linken« sowohl Zustimmungen als auch Enthaltungen. Es ist daher auch die Schwäche der innerparteilichen Linken, die es den anderen Kräften in der Partei so leicht macht, ihren Kurs in Richtung Regierungsbeteiligung Schritt um Schritt fortzusetzen.

** Aus: junge Welt, Montag, 8. Juni 2015


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