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Italiens Rechte kündigt Solidarität

Massiver Streit über die Verteilung von 60 000 Flüchtlingen innerhalb des Landes

Von Anna Maldini, Rom *

Enzo Bianco, Bürgermeister der sizilianischen Stadt Catania, fordert mehr europäische Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen. Die Mittelmeerregion sei in einer Ausnahmesituation, sagte er am Montag.

In den vergangenen Tagen sind etwa 6000 Migranten auf Sizilien gelandet. Sie wurden von Schiffen verschiedener Nationalitäten, zu denen auch zwei deutsche gehörten, im Rahmen des EU-Programms »Triton«, gerettet. Diesmal hatten 14 Flüchtlingsboote in der Nähe der libyschen Küste gleichzeitig ein SOS abgesetzt.

Die Menschen an Bord, darunter Kinder und auch viele hochschwangere Frauen, konnten alle gerettet werden. Sie kamen in sizilianische Häfen. Damit steigt die Zahl der Personen, denen in diesem Jahr die Flucht vor Krieg und Verfolgung nach Italien geglückt ist, auf knapp 60 000. Und während man in Europa noch über eine neue Regelung und eine gerechtere Aufteilung der Migranten diskutiert, haben drei norditalienische Regionen die nationale Solidarität aufgekündigt und weigern sich, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.

Den Anfang machte Roberto Maroni, Ministerpräsident der Region Lombardei einschließlich Mailand und einst italienischer Innenminister unter Premier Silvio Berlusconi. Der Politiker der Lega Nord erklärte am Sonntag, seine Region werde keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen. Dabei sprach er von »Illegalen«. Sollte ein Bürgermeister Räume für die Migranten bereit stellen, so werde die Regionalregierung dafür sorgen, dass der jeweilige Ort weniger Geld aus dem Regionaltopf erhalte. Sein Motto: Wer hilft, wird bestraft.

Zwei weitere Regionalpräsidenten taten es Roberto Maroni gleich. Erst erklärte der gerade mit über 50 Prozent der Stimmen neu gewählte Ministerpräsident des Veneto, Luca Zaia ( Lega Nord), auch seine Region werde sich weigern, »noch mehr« Ausländer aufzunehmen, da man »soziale Unruhen« befürchte. Der Dritte im Bunde ist schließlich Giovanni Toti, der vor einer Woche zum neuen Ministerpräsidenten von Ligurien gewählt wurde. Er war erst Journalist in einem Sender des Berlusconi-Imperiums Mediaset und dann Sprecher des Ex-Regierungschefs. Jetzt wurde er, der überhaupt keine Politikerfahrung hat, überraschend für die Berlusconi-Partei Forza Italia mit Unterstützung der Lega Nord und anderer rechter Parteien an die Spitze der norditalienischen Region Ligurien, zu der Genua gehört, gewählt. Auch er werde sich weigern, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.

Dabei beherbergen diese drei norditalienischen Regionen bisher weitaus weniger Migranten als andere. 21 Prozent aller Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kamen, sind derzeit auf Sizilien untergebracht. Es folgen die Regionen Lazium, zu der auch Rom zählt, mit 13 Prozent und dann mit jeweils neun Prozent die große und reiche Lombardei und das kleine und arme Apulien. Veneto nimmt vier, Ligurien nur zwei Prozent der Flüchtlinge auf.

Das italienische Innenministerium ließ verlauten, dass die Quotenregelung in Italien 2011 beschlossen wurde. Gerade damals aber war Roberto Maroni selbst Innenminister. Man werde jetzt keine Ausnahmen genehmigen und gegebenenfalls mit »außerordentlichen Maßnahmen« reagieren, hieß es in Rom. Die Flüchtlingspolitik sei auf jeden Fall eine nationale und keine regionale Angelegenheit.

Matteo Salvini, Vorsitzender der Lega Nord und europäischer Partner von Marine Le Pen, unterstützte den Vorstoß der »Rebellen« und erklärte, er sei bereit, die norditalienischen Strukturen, die man für Flüchtlinge bereitstellen will, sofort zu besetzen. »Wir werden all die Einrichtungen bewachen«, erklärte er am Montag, »die irgendwer auf Kosten der Italiener Tausenden von Illegalen zur Verfügung stellen will«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 9. Juni 2015


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