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Noch sieben Jahre

Die Industriestaaten müssen die Emission ihrer Treibhausgase schneller zurückfahren als angekündigt, damit der Klimaschutz überhaupt noch eine Chance haben kann

Von Wolfgang Pomrehn *

In Bonn geht am heutigen Montag eine Vorbereitungsrunde für die diesjährige UN-Klimakonferenz in die zweite und letzte Woche. Auf der Tagesordnung stehen diverse Detailverhandlungen für ein neues internationales Klimaabkommen, das Ende des Jahres in Paris verabschiedet werden soll. Endlich, denn der alte Vertrag, das sogenannte Kyoto-Protokoll, ist ausgelaufen und konnte nur in letzter Minute provisorisch verlängert werden. Große Industrienationen wie Japan und Kanada sind der Verlängerung nicht beigetreten und waren ohnehin ihren Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll nicht nachgekommen. Die USA hatten es nie ratifiziert und ließen ihre Emissionen munter weiter ansteigen, bis 2005 der Fracking-Boom zum Stillstand führte, da dadurch ein Teil der Kohlekraftwerke verdrängt wurde. Immerhin gibt es aber seit mehr als 20 Jahren eine Klimaschutzrahmenkonvention, der alle Staaten angehören, auch die USA. Die bildet den Grundlagenvertrag, in dem sich die Staaten verpflichten, »die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, das gefährliche menschliche Eingriffe in das Klimasystem vermeidet«. Wie das geschehen kann, sollen die Protokolle regeln.

Einer der großen Streitpunkte ist nach wie vor ein sogenannter Klimafonds. 100 Milliarden US-Dollar sind nach heutigem Stand jährlich notwendig, um in den ärmsten Ländern zum einen die Anpassung an den Teil des Klimawandels zu finanzieren, der nicht mehr aufzuhalten sein wird. Dazu gehören ein erheblicher Teil des Meeresspiegelanstiegs, Ausbreitung tropischer Krankheiten und die Veränderungen der Bedingungen für die Landwirtschaft durch die Verschiebung von Klimazonen. Zum anderen werden erhebliche Mittel benötigt, damit die industrielle Entwicklung in diesen Ländern von vornherein einen umwelt- und klimafreundlichen Weg einschlagen kann.

Im Prinzip haben sich die 195 Mitgliedsstaaten der Klimakonvention darauf geeinigt, dass ab 2020 als Teil des neuen Vertrags jährlich 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Allerdings fehlt es noch an Zusagen der Industriestaaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat – unverbindlich – versprochen, Deutschland werde ab 2020 jährlich vier Milliarden zahlen. Ihre sozialdemokratische Umweltministerin Barbara Hendricks lässt allerdings wissen, dass sie davon ausgeht, einen erhebliche Teil der insgesamt pro Jahr notwendigen Fondsmittel von privaten Geldgebern einzuwerben. Bei »klugem« Einsatz der staatlichen Mittel werde man auch private Gelder bekommen. Der Ministerin schwebt ein Verhältnis von 40 Prozent öffentlicher Finanzierung zu 60 Prozent privater vor. Doch wie Investoren dazu gebracht werden sollen, ihr Geld in den Bau von Deichen und Hochwasserschutzräumen zu stecken, bleibt ihr Geheimnis. Es klingt, als möchte Berlin mit vermeintlichen Klimaschutzhilfen den großen Agrarkonzernen Wege in die Entwicklungsländer ebnen.

Derweil gibt es harsche Kritik von der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder. Die Industriestaaten würden beim Klimafonds auf Zeit spielen und keine ausreichenden Angebote auf den Tisch legen. Es fehle an Vertrauen zwischen den armen und den reichen Ländern, sagte der Sprecher der Staatengruppe, Tosi Mpanu-Mpanu aus der Demokratischen Republik Kongo, gegenüber der britischen Zeitung The Guardian (Sonnabendausgabe). Die Verpflichtungen der Industriestaaten würden immer weiter verwässert. »Auf 20 Länder entfallen 80 Prozent der Emissionen. Und doch sagt man uns in Afrika, wir sollen unsere Emissionen kürzen. Okay, machen wir, wenn ihr uns helft. Gebt uns die die finanziellen Mittel und die Technik.«

Vollkommen offen ist auch, wie weit der Ausstoß der Treibhausgase von den einzelnen Ländern zurückgefahren wird. Zwar besteht weitgehend Einigkeit, dass die globale Erwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau beschränkt werden muss. Die kleinen Inselstaaten und einige weitere Entwicklungsländer wie Bolivien fordern gar, die Latte bei 1,5 Grad Celsius einzuhängen, weil bei einem Plus von zwei Grad viele Inseln und Küstenregionen in den nächsten Jahrhunderten vermutlich verlorengehen werden. Doch bisher gibt es nur unverbindliche Zusagen von knapp 40 Staaten, die zusammen bei weitem nicht ausreichen.

Mit Klimamodellen lässt sich inzwischen berechnen, was notwendig wäre, um diese Ziele zu erreichen. Um beim Zwei-Grad-Ziel auf der sicheren Seite zu bleiben, dürfen weltweit noch knapp 600 Milliarden Tonnen Treibhausgase ausgestoßen werden. Sollte das Klimasystem etwas weniger empfindlich reagieren, dürften es auch noch 100 oder 200 Milliarden mehr sein. So oder so entspricht das dem derzeitigen globalen Ausstoß von bestenfalls 20 Jahren. Die Umweltorganisation Greenpeace rechnet vor, dass den G-7-Staaten (Japan, Kanada, Deutschland, USA, Italien, Großbritannien und Frankreich) nur zehn Prozent dieses verbliebenen Budgets zustehen, wenn man ihren Anteil an der Weltbevölkerung bedenkt. Daher müssten sie ihre Emissionen wesentlich schneller zurücknehmen als bisher vorgesehen. Beim derzeitigen Niveau werden diese Staaten ihren Anteil schon in sieben Jahren aufgebraucht haben.

* Aus: junge Welt, Montag, 8. Juni 2015


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