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Erdbeben mit Ansage

Regionalwahlen Katalonien: Autonome Region vor dramatischen Veränderungen

Von André Scheer *

Am 27. September finden in Katalonien vorgezogene Parlamentswahlen statt, und schon jetzt ist klar, dass diese die politische Landschaft in der autonomen Region Spaniens in einer Weise verändern werden, wie es kaum eine in den vergangenen Jahrzehnten vermocht hat. Die bislang stärkste Kraft tritt gar nicht mehr geeint zu den Wahlen an, dafür dürften neue Akteure künftig die größten Fraktionen bilden.

»Convergència i Unió« (CiU), die bislang mit 50 Abgeordneten in dem 135 Mitglieder zählenden Parlament vertreten war, existiert schon nicht mehr. Die bereits 1978 gegründete Allianz der liberalen »Convergència« (CDC) und der christdemokratischen »Unió« (UDC) hatte die Region von 1980 bis 2003 sowie erneut ab 2010 regiert. Mitte 2015 zerbrach das Bündnis aber an der Frage der Unabhängigkeit Kataloniens, die von Ministerpräsident Artur Mas und dessen CDC unterstützt wird, während eine Mehrheit der UDC auf eine Verständigung mit Madrid setzt.

Mas, der erster Präsident eines unabhängigen Staates Kataloniens werden will, verständigte sich daraufhin mit der bislang zweitstärksten Kraft im Regionalparlament, der Republikanischen Linken (ERC). Diese linksliberale Partei, die unumwunden die Abspaltung von Spanien verlangt, hatte das Kabinett von Mas schon in den vergangenen Monaten toleriert, einen offiziellen Eintritt in die Regierung jedoch immer abgelehnt. Nun wollen die CDC und die ERC mit einer gemeinsamen Liste »Gemeinsam für das Ja« (Junts pel Sí) antreten. Wer für sie stimmt, so das am 20. Juli vorgestellte Programm, votiert für die Eigenständigkeit.

Wenn CDC und ERC eine Mehrheit erhalten, sollen die Abgeordneten des neuen Parlaments umgehend eine feierliche Erklärung verabschieden, dass Katalonien auf der Grundlage des bei den Wahlen erhaltenen Mandats den Prozess seiner Unabhängigkeit von Spanien eröffnet. Unter der Führung von Mas soll dann eine »Regierung der nationalen Einheit« gebildet und die Arbeit an einer Verfassung des neuen Staates begonnen werden.

Auf der Liste vertreten sind zahlreiche prominente Namen der Unabhängigkeitsbewegung, so neben Mas und ERC-Chef Oriol Junqueras auch die frühere Chefin der »Katalanischen Nationalversammlung« (ANC), Carme Forcadell. Ihre Organisation hatte in den vergangenen Jahren zum Nationalfeiertag am 11. September wiederholt Großdemonstrationen mit mehr als einer Million Teilnehmer veranstaltet. International bekanntester Name unter den Kandidaten ist allerdings Pep Guardiola, der Trainer des FC Bayern München, der symbolisch auf dem letzten Platz der Liste antritt. Auch mehrere nationalistische Kleinparteien haben ihre Unterstützung erklärt.

Es gelang den Befürwortern der Unabhängigkeit jedoch nicht, mit einer gemeinsamen Einheitsliste anzutreten. Die antikapitalistische »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) wollte sich der Allianz von Mas und Junqueras nicht unterordnen und tritt deshalb eigenständig an. Es wird jedoch damit gerechnet, dass sie im Parlament den Kurs auf eine Separation unterstützen wird. Darauf könnten CDC und ERC angewiesen sein, wie jüngste Umfragen zeigen.

Politisch gibt es jedoch auch Überschneidungen zwischen der CUP und der großen Unbekannten bei den Wahlen. Unter dem Namen »Catalunya Sí que es pot«, was man neudeutsch mit »Katalonien, yes we can« übersetzen könnte, haben sich am 15. Juli die ökosozialistische ICV (Initiative für Katalonien – Grüne), die kommunistisch geprägte EuiA (Vereinigte und Alternative Linke) sowie der regionale Ableger der Protestpartei Podemos zusammengeschlossen. Nach einigen Prognosen hat diese Allianz mit bis zu 30 Mandaten Chancen, künftig die stärkste Fraktion zu bilden. Das Bündnis repräsentiert das gesamte Spektrum links der Sozialdemokratie, das sich nicht hinter die Forderung nach Unabhängigkeit stellt. So sprechen sich etwa die »Comunistes de Catalunya« (Kommunisten Kataloniens), die führende Kraft der EUiA, zwar für eine Souveränität ihrer Region aus. Diese könne aber »im Rahmen des Finanzkapitalismus« nicht erreicht werden, wie die »schrecklichen Ereignisse« in Griechenland bewiesen hätten. Der Kampf um die Souveränität sei deshalb vom Kampf um den Sozialismus nicht zu trennen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. Juli 2015


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