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Von Chávez zu Maduro

Jahresrückblick 2013. Heute: Venezuela. Hinter dem südamerikanischen Land liegen schwierige Monate. Kampf für fortschrittliche Veränderungen noch nicht entschieden

Von André Scheer *

Nach einem Treffen mit den bei den Kommunalwahlen am 8. Dezember ins Amt gekommenen 255 linken Bürgermeistern zog Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am 16. Dezember eine positive Bilanz des zu Ende gehenden Jahren. »Die Wahlen vom 8. Dezember haben eine Etappe abgeschlossen, nun beginnt für unser Land eine neue«, erklärte er in einer über alle Rundfunk- und Fernsehsender des Landes ausgestrahlten Ansprache. Die vergangenen 14 Monate seien eine schwere und komplizierte Zeit gewesen, die Venezuela politisch geprüft habe, so Maduro.

Am 7. Oktober 2012 war Hugo Chávez, der Venezuela seit Anfang 1999 regiert hatte, mit klarer Mehrheit für eine neue Amtszeit gewählt worden. Für diese hätte er am 2. Februar vereidigt werden müssen. Doch es sollte anders kommen. Am 8. Dezember teilte Chávez der Öffentlichkeit mit, daß er sich erneut einer Krebsoperation in Kuba unterziehen müsse. Es war sein letzter öffentlicher Auftritt, und Chávez selbst war sich des Ernsts der Lage offensichtlich bewußt. Sollte er sein Amt nicht antreten können, solle Vizepräsident Nicolás Maduro zum neuen Staatschef gewählt werden, rief er auf.

Lebendiges Erbe

Die folgenden Monate waren ein Nervenkrieg. Mehrmals wöchentlich meldete sich Maduro über das Fernsehen mit Zwischenmeldungen über den Gesundheitszustand des Präsidenten zu Wort und bemühte sich, Optimismus zu verbreiten. Informationen über eine Verbesserung der Lage wechselten sich mit Berichten über Rückfälle und Komplikationen ab. Zugleich nutzte die rechte Opposition die Situation aus, um die Regierung zu destabilisieren. Reaktionäre Medien verbreiteten wiederholt, Chávez sei längst tot, und die spanische Tageszeitung El País brachte auf ihrer Titelseite ein Foto, das angeblich den künstlich beatmeten Präsidenten zeigen sollte – tatsächlich stammte das Bild aus einem bereits seit Jahren im Internetportal Youtube verfügbaren Video, das einen gerade operierten Mexikaner zeigte, der nichts mit Chávez zu tun hatte. Ende Februar wurde Chávez dann bei Nacht und Nebel nach Caracas zurückgebracht und im Militärkrankenhaus der Hauptstadt weiterbehandelt.

Doch am 5. März mußte Maduro vor die Kameras treten, um den Tod von Hugo Chávez zu verkünden. In Caracas schlossen die Geschäfte, die Menschen versammelten sich schweigend oder weinend auf den Plätzen. 14 Jahre lang hatte Chávez das Land repräsentiert und es auf die politische Weltbühne zurückgebracht. Unter seiner Führung hatten sich Venezuela und Lateinamerika insgesamt gründlich verändert, auch wenn es Chávez nicht mehr gelang, aus seinem Land ein sozialistisches zu machen.

Es folgte eine Überführung des Verstorbenen aus dem Krankenhaus in die Militärakademie, wo der Leichnam mehrere Tage aufgebahrt wurde. Hunderttausende reihten sich in die kilometerlangen Warteschlangen ein und harrten bis zu 30 Stunden und noch länger aus, um einen letzten Blick auf ihren Comandante werfen zu können. Schließlich wurde der Sarg nach einer offiziellen Trauerfeier, zu der rund 30 Staatschefs aus aller Welt nach Caracas gekommen waren, in die frühere Bergkaserne oberhalb des für seine kämpferischen Traditionen bekannten Viertels »23 de Enero« überführt. Erneut säumten mehrere Millionen Menschen die Straßen, als der Sarg in das Mausoleum gebracht wurde, das in dem historischen Gebäude mit Blick auf den Präsidentenpalast Miraflores gebracht wurde. Dort hat Hugo Chávez seine letzte Ruhe gefunden. Besucher können an einem massiven Steinsarg vorbeischreiten, an dem zwei Soldaten in historischen Uniformen die Totenwache halten. Als Führer stehen Angehörige der von Chávez aufgebauten Bolivarischen Miliz den Besuchern zur Verfügung. Und auch draußen bleibt sein Erbe lebendig: Direkt auf dem Gelände der Bergkaserne hat das Programm zur günstigen Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, PDVAL, ein Geschäft eröffnet, auf der anderen Seite leisten Ärzte im Rahmen der Gesundheitsmission Barrio Adentro kostenlos medizinische Hilfe.

Mit dem Tod des Präsidenten war klar, daß es Neuwahlen geben mußte. Sie fanden am 14. April statt. Für die Sozialisten trat, wie von Chávez selbst vorgeschlagen, Nicolás Maduro an. Ihm stellte sich Henrique Capriles Radonski gegenüber, der schon im Oktober gegen Chávez kandidiert und verloren hatte.

Knapp gewonnen

Der Wahlkampf war von der Trauer um Chávez geprägt, und Maduro mußte dessen schweres Erbe antreten. Zwar mobilisierte auch er Massen und hielt mitreißende Reden. Doch die Autorität des verstorbenen Präsidenten konnte er nicht haben. Die Opposition nutzte das aus, indem sie »frühere Chávistas« aufbot, die dazu aufriefen, diesmal Capriles zu wählen. Der Rechtskandidat selbst, der noch wenige Monate zuvor Chávez als den Untergang Venezuelas verdammt hatte, präsentierte sich plötzlich als »klammheimlicher Chávist« und sprach sich sogar für »Sozialismus« aus.

Fast hätte diese Manipulation Erfolg gehabt. Maduro konnte die Wahl mit 50,6 Prozent der Stimmen nur äußerst knapp gewinnen. Es war ein Schock, denn alle Umfragen hatten zuvor einen klaren Sieg des bolivarischen Lagers vorhergesagt. Doch offensichtlich war ein Teil der Venezolaner, die noch um Chávez trauerten, zu sehr gelähmt, um für einen anderen Kandidaten zu stimmen. Andere wurden von einer Wahlkampagne abgestoßen, in der die Trauer zu von einer fast volksfestartigen Atmosphäre bei den Kundgebungen Maduros abgelöst worden war.

Wie kaum anders zu erwarten, wetterte Capriles nach der knappen Niederlage über angeblichen Wahlbetrug, den er allerdings nicht belegen konnte. Statt dessen ging der militante Teil seiner Anhänger in den Tagen nach der Abstimmung auf die Straße, lieferte sich Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften und verübte Brandanschläge auf Behörden, Gesundheitszentren und Einrichtungen der linken Parteien. Mehrere Regierungsanhänger wurden getötet, während Capriles versuchte, sich als das Opfer zu stilisieren.

Wahlsieg im Dezember

Doch die Manöver der Rechten scheiterten schnell. Maduro gelang es, das Regierungslager zusammenzuhalten und sich aus einzelnen Querelen weitgehend herauszuhalten. Zugleich zeigte er sich als tatkräftiger Staatschef, der im Rahmen der »Regierung auf der Straße« das ganze Land bereiste, um mit den Menschen vor Ort über deren konkrete Bedürfnisse zu diskutieren. Zudem gelang es mit der großangelegten Kampagne »Patria Segura« (Sicheres Heimatland), für die Polizei, Armee und Nationalgarde mobilisiert wurden, die Kriminalität zurückzudrängen. Der Regierung gelang es damit, das subjektive Sicherheitsgefühl der Venezolaner zu verbessern.

Parallel dazu organisierte Maduro eine umfassende Kampagne gegen Korruption und Unterschlagung. Nahezu täglich meldeten venezolanische Medien Festnahmen hochrangiger Funktionäre aus Ministerien, Missionen und Regierungsinstitutionen, die in die Kasse gegriffen haben sollen. So wurde im Oktober mit dem Bürgermeister von Valencia, der drittgrößten Stadt Venezuelas, ein Parteifreund Maduros verhaftet und seines Amtes enthoben. Dabei nahm die Regierung in Kauf, daß der Korruptionsskandal bei der Kommunalwahl im Dezember dazu führte, daß Valencia ebenso wie die beiden größten Städte, Caracas und Maracaibo, von der Opposition gewonnen werden konnten. »Die korrupte Rechte wird immer korrupt sein, aber wir müssen alles säubern, was wir säubern müssen«, verkündete Maduro.

Mit dem Ergebnis der Kommunalwahlen im Dezember, bei denen das revolutionäre Lager mehr als eine Million Stimmen mehr als die Opposition erreichen konnte, geht Maduro nun gestärkt in das neue Jahr. Dieses wird entscheidend dafür sein, wohin Venezuelas Prozeß geht. Der Kampf ist noch nicht entschieden.

* Aus: junge Welt, Samstag, 21. Dezember 2013


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