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Faschisten spalten Junta

Ukraine: Jazenjuk unterstützt Position der Nazis. Anschläge in Lwiw. Armeeeinheit meutert

Von Reinhard Lauterbach *

Der bewaffnete Überfall des »Rechten Sektors« im westukrainischen Mukatschewe am Samstag spaltet die ukrainische Regierung. Während Staatspräsident Petro Poroschenko aufruft, Recht und Ordnung wieder herzustellen, unterstützt sein Ministerpräsident Arseni Jazenjuk die Banditen vom RS politisch. Bei einem Besuch in Washington sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur AP, das Eingreifen des RS sei gerechtfertigt gewesen. Schmuggel und Gesetzlosigkeit hätten im Grenzgebiet zu Ungarn ungeahnte Ausmaße angenommen. Jazenjuk entließ aus der Ferne sämtliche Beschäftigten des Zollamts der Region mit sofortiger Wirkung.

In Kiew kampieren unterdessen Angehörige des Rechten Sektors und anderer Freiwilligenbataillone vor der Präsidialverwaltung und verbrennen Autoreifen. Die Demonstranten erhielten am Wochenende Verstärkung von der Front im Donbass. Die Teilnehmer fordern den Rücktritt von Innenminister Arsen Awakow.

In der westukrainischen Metropole Lwiw explodierten in der Nacht zum Dienstag zwei Bomben vor Polizeiwachen. Das Innenministerium machte den Rechten Sektor für die Anschläge verantwortlich, bei denen zwei Beamte verletzt wurden, dementierte aber gleichzeitig Meldungen, wonach dem Chef des Rechten Sektors, Dimitro Jarosch, wegen des Zwischenfalls vom Wochenende die parlamentarische Immunität entzogen werden soll.

Der Großteil der Rechten in Mukatschewe ist nach wie vor auf freiem Fuß. Jarosch hatte es bei einem Besuch in der Region am Wochenende abgelehnt, seinen Kämpfern den Befehl zu geben, ihre Waffen niederzulegen. Inzwischen wurde bekannt, dass die RS-Kämpfer bei ihrer Flucht aus dem Stadtzentrum einen elfjährigen Jungen als menschlichen Schutzschild missbraucht hatten.

Nunmehr präsentierte der Sprecher des Rechten Sektors eine neue Darstellung, warum das Kommando am Samstag herumgeschossen habe. In Mukatschewe habe sich eine Trainingsbasis der – über 1.000 Kilometer entfernten – Volksrepublik Donezk befunden. Oder doch nicht? Möglicherweise sei auch eine Abspaltung des Grenzgebiets zu Ungarn nach dem Vorbild des Donbass vorbereitet worden, übte sich der Mann in verschwörungstheoretischem Pluralismus.

Bisher haben die Unruhen rund um den Rechten Sektor nicht zu einem Nachlassen des Beschusses an der ostukrainischen Front geführt. Die Behörden der Volksrepublik Donezk berichteten von etwa zehn Feuerüberfällen auf Wohngebiete und ein Kinderkrankenhaus am Stadtrand von Donezk im Laufe der Nacht zum Dienstag und 38 im Laufe des Montags. Am Dienstag morgen sprengten Unbekannte das Auto der Sekretärin des Chefs der »Volksrepublik Donzek«, Alexander Sachartschenko, in die Luft. Die Frau kam schwerverletzt ins Krankenhaus.

In der ukrainischen Armee wächst derweilen die Unzufriedenheit. Der Pro-Maidan-Sender Hromadske TV veröffentlichte einen Aufruf von etwa 20 Soldaten der 17. Panzerbrigade. Sie forderten, aus dem Dienst entlassen zu werden und zu ihren Familien zurückkehren zu dürfen. Die in uneinheitliches Räuberzivil gekleideten Männer warfen ihrem Brigadekommandeur vor, ihnen systematisch Urlaub zu verweigern, sich aber selbst welchen genehmigt zu haben. Sie beschwerten sich auch über schlechte Verpflegung und Ausrüstung und erklärten, sie seien es leid, für die »Bandera-Wichser« zu kämpfen, die nur in Kneipen herumsäßen.

Das scheint kein Einzelfall zu sein. Ein von einem Lokalsender in der Industriestadt Krywyj Rih ins Netz gestelltes Video von einer Informationsveranstaltung des ukrainischen Verteidigungsministeriums zur »sozialen Absicherung« der »Antiterrorkämpfer« zeigte eine erst eisige und dann erregte Atmosphäre. Bei der Vorstellungsrunde erhielt keiner der aus Kiew angereisten Beamten auch nur Höflichkeitsapplaus. Später schrien die teilnehmenden Soldaten und anwesende Angehörige die Beamten nieder. Auslöser war, dass zugesagte Renten offenbar nicht gezahlt wurden. »Als ihr unsere Jungens geholt habt, wart ihr fix, aber jetzt sind sie euch scheißegal«, rief eine erregte Mutter unter großem Beifall aus dem Saal.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. Juli 2015


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