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Kämpfe bei Donezk

Ukraine: Rund 50 Tote auf beiden Seiten bei Kämpfen um Vorort Marjinka

Von Reinhard Lauterbach *

Bei den schwersten Kämpfen im Donbass seit der Schlacht um Debalzewe sind am Mittwoch auf beiden Seiten rund 50 Soldaten gefallen. Die Aufständischen gaben 15 eigene Gefallene zu und berichteten, sie hätten über 30 tote Ukrainer geborgen. Die Kiewer Angaben über die eigenen Verluste sind deutlich niedriger.

Schwerpunkt der Gefechte am Mittwoch war die Ortschaft Marjinka am südwestlichen Stadtrand von Donezk. Dort griffen rund 1.000 Infanteristen der Volkswehr der Republik Donezk mit Unterstützung von 20 Panzern die in dem Ort verschanzten ukrainischen Truppen an. Über das Ergebnis der Kämpfe sind die Angaben widersprüchlich. Hieß es von seiten der Volksrepubliken zunächst, die Volkswehr habe über Marjinka die Fahne der VR Donezk gehisst, wurden die Mitteilungen später zurückhaltender. Am Donnerstag morgen sagte der stellvertretende Stabschef der Volkswehr, Eduard Basurin, die Ukrainer stünden nach wie vor am westlichen Rand von Marjinka und auch in den umliegenden Ortschaften. Widersprüchlich waren auch die politischen Einschätzungen: Während Basurin Kiew aufforderte, endlich die Minsker Waffenstillstandsvereinbarungen einzuhalten, erklärten Feldkommandeure der Volkswehr »Minsk II« für tot und überholt.

Auslöser für die Wiederaufnahme der Kämpfe war offenbar ein ukrainischer Artilleriebeschuss gegen Stellungen der Volkswehr am westlichen Stadtrand von Donezk am frühen Mittwoch morgen. Dabei wurden offensichtlich auch etwa 90 Zivilisten verletzt, die auf einem beliebten Wochenmarkt einkauften. Womöglich als Antwort hierauf beschloss dann das Kommando der Volkswehr, den Versuch zu unternehmen, den Ring der Artilleriestellungen dort zu zerschlagen und die Kiewer Truppen zu zwingen, sich außer Schussweite zurückzuziehen. Kiew stellte die Reihenfolge der Ereignisse umgekehrt dar: Die Aufständischen hätten zuerst das Feuer eröffnet.

Da die Lage in Marjinka sich am Donnerstag beruhigte, stellt sich die Frage, was der Grund für die Gefechte am Mittwoch war. Neben der schon erwähnten taktischen Motivation seitens der Aufständischen kommen zwei Aspekte in Frage: unmittelbar vor einer Jahresbotschaft des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko der Kiewer Seite zu demonstrieren, dass sie auf Pläne zur Rückeroberung des Donbass besser verzichten sollte. Falls der Beschuss von ukrainischer Seite eröffnet worden wäre, könnte es auch der Versuch gewesen sein, durch medienwirksame Scharmützel Stimmung für eine Verlängerung der gegen Russland gerichteten Sanktionen durch die G-7-Staaten zu machen.

Unabhängig von der zeitweiligen Zuspitzung der Lage am Stadtrand von Donezk setzt Kiew seinen Kleinkrieg gegen die Volksrepubliken an anderer Stelle fort. So wurde nach Angaben aus Lugansk die Versorgung der Stadt mit Trinkwasser aus drei im ukrainischen Machtbereich liegenden Stauseen eingestellt. Die Bewohner wurden aufgefordert, mit Wasser äußerst sparsam umzugehen. Im Kiewer Parlament wurde unterdessen ein Antrag eingebracht, auch die Trinkwasserversorgung der Krim aus dem Unterlauf des Dnipro wieder einzustellen. Einen ersten derartigen Versuch hatte Russland noch mit der Drohung, die Gaslieferungen an Kiew einzustellen, zum Scheitern gebracht.

Poroschenko sagte am Donnerstag in seiner Jahresbotschaft im Kiewer Parlament, die Ukraine sei höchst interessiert daran, die Wirtschaftsbeziehungen mit den Bezirken Donezk und Lugansk wiederaufzunehmen. Voraussetzung sei aber, dass sie die Kontrolle über die russisch-ukrainische Grenze zurückgewinne. Für die Zwischenzeit präsentierte ein Abgeordneter namens Sergej Wyssotzkij einen Gesetzentwurf, der die Strafen für jede Art von Warenaustausch mit den Aufstandsgebieten drastisch verschärfen soll. Dieser Handel »zersetze« auch »Teile der ukrainischen Elite« – eine diskrete Umschreibung dafür, dass der Patriotismus etlicher Kiewer Beamter offenbar darin seine Grenze findet, dass »im Dunkeln gut munkeln« ist.

* Aus: junge Welt, Freitag, 5. Juni 2015


Keine Wende in Kiew

Klaus Joachim Herrmann über die Botschaft an die ukrainische Nation **

Botschaften zur Lage der Nation bieten schon ihrer selbst wegen Möglichkeiten für größere politische Würfe und überraschende Wendungen in der Strategie. Der ukrainische Präsident folgte aber bewährten Mustern. Er übte Kritik an der Regierung und sich selbst, beschwor das schwere Erbe, die äußeren und inneren Feinde, große Gefahren, den Kampf gegen alte Korruption und für neue Reformen.

Da aber seien, präsentierte sich der Präsident als »Chefkoch«, »viele Essen auf dem Herd« und die verstrichene Zeit zu kurz. Datierte Poroschenko eine »apokalyptische Stimmung« auch auf den Herbst des Vorjahres, bleiben doch der Konflikt um die Ostukraine, ein Einbruch der Wirtschaft, und die Drohung der Staatspleite.

Wenn die Bilanz so düster ist, sollte doch von irgendwo etwas Aufhellung kommen. Europa und eine bessere Lebenslage aber bleiben so weit entfernt wie zu den frühen Zeiten des friedlichen Maidan. Der Westen stritt für die Freiheit der Wahl, doch nicht für die Aufnahme in seine Gemeinschaft. Die NATO rückt an Russlands Grenzen vor und die Feindschaft Moskau-Kiew bleibt bis ins Irrationale unerbittlich. Eine innere Befriedung wird es nicht geben, wenn trotz Minsk Verhandlungen mit den Separatisten ausgeschlossen werden. Die Wende in Kiew bleibt aus.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 5. Juni 2015 (Kommentar)


Propagandakrieg gegen Russland

Der sogenannte Bürgerjournalismus und sein selbst gestellter Auftrag

Von Knut Mellenthin


Viele deutsche Journalisten verwechseln die Worte »offenbar« und »angeblich«. »Forensische Analyse: Kreml hat offenbar Satellitenfotos zu MH-17-Absturz gefälscht«, hieß es am 1. Juni bei Spiegel online. Die Geschichte über die angeblich gefälschten russischen Fotos war jedoch so außergewöhnlich stümperhaft gemacht, dass einige Medien, darunter Spiegel online selbst, schnell wieder zurückruderten. Die meisten anderen vergaßen das Thema.

Die Falschmeldung kam von der Agentur »Bellingcat«, die sich gern »unabhängige Investigativplattform« nennen lässt. Ein Blick auf ihre Website zeigt, dass sie sich einseitig auf zwei Themen spezialisiert hat: »Enthüllungen« über Russlands angebliche Rolle in der Ukraine und über Waffeneinsätze der syrischen Regierung.

»Bellingcat« ist noch nicht lange auf dem Markt. Der 35jährige Eliot Higgins gab die Gründung am 1. Juli 2014 bekannt. Dafür benutzte er damals noch sein Pseudonym Brown Moses. Unter diesem Namen hatte Higgins seit März 2012 mehrere vorgebliche »Analysen« ins Internet gestellt, mit denen auf der Grundlage von allgemein zugänglichen Satellitenaufnahmen nachgewiesen werden sollte, dass die syrischen Streitkräfte für den Einsatz chemischer Kampfstoffe verantwortlich seien. Im Dezember 2013 gründete Higgins die Firma »Brown Moses Media Ltd.«, die jetzt Eigentümer von »Bellingcat« ist. Journalisten erzählt er gern, dass er aus Langeweile zu dem »Hobby« gekommen sei, sich mit Waffeneinsätzen zu befassen, als er arbeitslos war und sich zu Hause um sein Kind kümmerte.

Zumindest heute arbeitet Higgins eng mit dem Atlantic Council zusammen, der sein Hauptquartier in Washington hat. Er ist Mitautor einer von dieser Organisation herausgegebenen Propagandaschrift »Putin's War in Ukraine«, die sich teilweise auf das von »Bellingcat« veröffentlichte Material stützt. Der Atlantic Council wurde 1961, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, mit dem Auftrag gegründet, die Zusammenarbeit westeuropäischer Politiker mit den USA zu festigen und nach Osteuropa hineinzuwirken. Die Organisation stellt zum einen ein Kaderreservoir für die US-Administration dar. Zum anderen ist der Atlantic Council ein Wirkungsfeld des Auslandsgeheimdienstes CIA, der dem State Department unterstellt ist.

Der beschönigende Begriff, unter dem neben »Bellingcat« zahlreiche ähnliche Unternehmen arbeiten, lautet scheinbar uneigennützig »Non-profit journalism« oder gern auch ganz bürgernah »Citizen Journalism«. Im sehr wohlwollenden englischen Wikipedia-Eintrag, den vermutlich Kollegen dieser speziellen Richtung selbst formuliert haben, wird als Stärke solcher Gruppen gerühmt, dass sie »in der Lage sind, dem öffentlichen Wohl zu dienen, ohne sich mit Schulden, Dividenden und den Zwang zum Gewinnmachen abgeben zu müssen«. Andererseits kosten die Recherchen, die oft mit Auslandsreisen verbunden sind, viel Geld, wie die Non-Profit-Journalisten immer wieder betonen. Sie finanzieren sich über Spenden, wobei Stiftungen als verlässliche Geldgeber einen hohen Stellenwert haben.

So hat zum Beispiel das »gemeinnützige Recherchebüro« Correctiv zum Start vor elf Monaten eine solide Anschubfinanzierung von drei Millionen Euro von der Brost-Stiftung erhalten. Das Stiftungsvermögen stammt aus dem Nachlass des Gründers der Westfälischen Allgemeinen Zeitung (WAZ), Erich Brost, und seiner Frau Anneliese. Nach eigener Beschreibung will Correctiv »Missständen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nachspüren«. Das tut die Gruppe tatsächlich vielseitiger als Higgins' »Bellingcat«. Trotzdem ist auch bei dem deutschen Unternehmen ein besonderes Interesse am Propagandakrieg gegen Russland festzustellen. Zwei seiner Journalisten, Marcus Bensmann und der frühere Wallstreet-Journal-Mitarbeiter David Crawford, wirkten am Artikel »Flug MH-17 – Auf der Suche nach der Wahrheit« mit, den der Spiegel im Januar veröffentlichte.




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