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Asarow will Ukraine retten

Exregierungschef unter Janukowitsch präsentiert in Moskau eine "Gegenregierung" für Kiew. Projekt offenbar mit dem Kreml abgestimmt

Von Reinhard Lauterbach *

Der langjährige ukrainische Finanzminister und (zuletzt 2010–2014) Ministerpräsident Nikolaj Asarow hat sich in Moskau als Vorsitzender eines »Komitees zur Rettung der Ukraine« vorgestellt. Wie er sagte, soll das Komitee eine zu den Kiewer Machthabern oppositionelle Gegenregierung bilden. Einige seiner Mitglieder würden derzeit nicht öffentlich vorgestellt, weil sie in der Ukraine lebten und dadurch in Gefahr kämen. Alle Mitglieder seien »Patrioten, die weder mit der alten noch mit der gegenwärtigen Staatsmacht etwas zu tun hatten«, so Asarow. Diese Aussage ist nicht für bare Münze zu nehmen: Asarow hat selbst an die 20 Jahre mit Expräsident Wiktor Janukowitsch zusammengearbeitet, der designierte Präsidentschaftskandidat Wladimir Olejnik war ein führender Abgeordneter der »Partei der Regionen«. Der im Februar 2014 nach Russland geflohene Janukowitsch wurde mit keinem Wort erwähnt.

Als wichtigsten Programmpunkt seines Komitees nannte Asarow die sofortige Beendigung des Bürgerkriegs und anschließende Neuwahlen aller Stufen der Staatsmacht vom Präsidenten bis zum Bürgermeister und eine umfassende Verfassungsreform. Sie solle die Ukraine in einen föderativen und neutralen Staat umwandeln und Russisch und Ukrainisch zu gleichberechtigten Staatssprachen erklären. Die Auflösung der faschistischen Bataillone, der Beginn des wirtschaftlichen Wiederaufbaus der Ukraine und der Rückzug von den antisozialen Reformen der Regierung Poroschenko/Jazenjuk vervollständigen das Fünfpunkteprogramm, das Asarow in Moskau vorstellte. Auf die Frage, ob das Komitee demnächst nach Donezk umsiedeln und sich dort als Gegenregierung etablieren werde, antwortete er, der Weg nach Donezk gehe über Kiew. Asarow berief sich mehrfach auf Bestimmungen der ukrainischen Verfassung, so auch, als er alle »ihrem Eid treuen« ukrainischen Soldaten und Beamten zum zivilen Ungehorsam gegen die Befehle der aktuellen Führung aufforderte.

Asarow, der in Russland geboren wurde und zu seiner Amtszeit dafür berühmt war, auch im ukrainischen Parlament kein Wort Ukrainisch zu sprechen, sprach Russisch mit einem stärkeren ukrainischen Akzent, als er aus früheren Aufnahmen bekannt ist. Der Präsidentschaftskandidat des Rettungskomitees, der ehemalige Parlamentsabgeordnete Wladimir Olejnik, brachte ein paar Zitate des ukrainischen Dichters Taras Schewtschenko im Original, sprach im übrigen aber ebenfalls Russisch. Schon diese Stilfrage dürfte die Resonanz des Komitees in der Ukraine begrenzen. Obwohl sich Asarow in einem Anfang des Jahres in Russland veröffentlichten Erinnerungsband als erfolgreicher Wirtschaftspolitiker darstellte und seine Differenzen zu Expräsident Janukowitsch herausstrich, gilt er in der Ukraine als dessen getreuer Diener. Präsidentschaftskandidat Olejnik hatte im Januar 2014 einige Änderungen des Demonstrationsrechts wie ein Vermummungs- und Bewaffnungsverbot ins Parlament eingebracht, die ihn in der Pro-Maidan-Ukraine verhasst machten. Die ukrainischen Medien meldeten den Auftritt Asarows knapp und mit ironischem Unterton. Die Ukrainskaja Pravda notierte beiläufig, dass ein Kiewer Gericht gerade dem Sohn Asarows zwei Häuser und eine Immobilienfirma auf Sardinien beschlagnahmt habe – impliziter Unterton: Die Familie Asarow gehöre zur politisch-ökonomischen Sippschaft Janukowitschs. Das den Volksrepubliken nahestehende Portal Rusvesna überging den Auftritt Asarows zunächst völlig.

Dass das Comeback Asarows in den Volksrepubliken mit einigem Misstrauen beobachtet wird, ist nicht verwunderlich. Wie das russische Portal Gazeta.ru schon vor einigen Tagen schrieb, ist dessen Projekt mit dem Kreml abgestimmt. Der Kiewer Staatsstreich und der anschließende Zerfall der »Partei der Regionen« habe Moskau seinerzeit auf dem falschen Fuß erwischt. Mit dem Rettungskomitee stehe nun ein respektablerer Ansprechpartner als die zusammengewürfelte Führung der »Volksrepubliken« zur Verfügung, die nur bedingt bereit ist, sich den außenpolitischen Kalkulationen Russlands zu unterwerfen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. August 2915


Spielfigur Asarow

Gegenregierung für Kiew proklamiert

Von Reinhard Lauterbach **


Es war im Grunde unnötig, dass russische Medien sich von ihren anonym-offiziösen Quellen zuflüstern ließen, dass die Gründung des »Komitees zur Rettung der Ukraine« unter dem früheren Ministerpräsidenten Nikolaj Asarow mit Billigung des Kreml erfolgt ist. Das konnte sich jeder denken, dass ein in puncto Einmischung in innere Angelegenheiten äußerst sensibles Land wie Russland »siebenmal abmisst, bevor es einmal schneidet« und in seiner Hauptstadt die Proklamation einer Gegenregierung für ein Nachbarland gestattet.

Um der Metapher des zitierten russischen Sprichworts treu zu bleiben: Moskau signalisiert mit der Duldung von Asarows Proklamation, dass das Tischtuch zur gegenwärtigen ukrainischen Regierung zerschnitten ist. Die Hoffnung, mit Petro Poroschenko, Arsenij Jazenjuk oder zur Not einem von beiden handelseinig zu werden, ist offenbar beerdigt. Weder wirtschaftlicher noch politischer Druck haben geholfen: Die prowestlichen ukrainischen Machthaber sind bereit, ihr Land zum antirussischen Bollwerk der USA zu machen, auch wenn dies die Volkswirtschaft ihres Landes ruiniert. Dieser Nebeneffekt des geopolitischen Kurswechsels steht im Mittelpunkt der Proklamation des Rettungskomitees. Die Hoffnung Asarows – und hinter ihm des Kreml – geht nun offenbar dahin, dass die Wirtschaftskrise die Ukrainer wenn schon nicht zur politischen Vernunft bringen – denn das hat noch keine Krise geleistet –, so doch wenigstens der Kiewer Regierung abspenstig machen könnte. Tatsächlich ist die Unzufriedenheit mit den aktuellen Machthabern in der Ukraine groß, weder Poroschenko noch Jazenjuk haben nach aktuellen Umfragen derzeit Mehrheiten. Aber die Gefahr ist groß, dass diese Unzufriedenheit die ukrainische Gesellschaft eher noch weiter nach rechts drängt – oder die Spaltung des Landes beschleunigt. Letztere Option wird vom Kreml inzwischen offenbar billigend in Kauf genommen, obwohl sie keines der strategischen Probleme lösen würde, die Russland mit den Folgen des Staatsstreichs vom Februar 2014 hat. Vor einigen Tagen hat sich ein ehemaliger ukrainischer Staatsanwalt in einer Kleinstadt des Gebiets Odessa zum »Volksgouverneur von Bessarabien« ausrufen lassen; ähnlich ging es im Frühjahr 2014 im Donbass auch los.

Ob Asarow ernsthaft glaubt, an der Spitze seines Rettungskomitees irgendwann einmal nach Kiew zurückkehren zu können, weiß vermutlich nur er selbst. Seine Äußerung in Moskau, der Weg zurück nach Donezk führe über Kiew, zeigt aber, dass seine Aufgabe nicht darin besteht, die aufständischen Volksrepubliken zu ersetzen. Die haben immerhin ein paar Divisionen, Asarow einstweilen keine. Im übrigen: der Aufstand im Donbass war auch eine Rebellion der Ostukrainer gegen die korrupte Macht der Partei der Regionen, dieselbe Rebellion, die im Westen des Landes unter nationalistischen Parolen den Maidan hervorbrachte. Asarow war Teil dieser Macht, mehr als ein kleineres Übel ist er heute nicht.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 4. August 2915 (Kommentar)


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