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Der Maji-Mythos

Vor 110 Jahren erhoben sich die Bewohner des östlichen Afrika gegen die deutschen Kolonialherren

Von Simon Loidl *

Marineoffizier Hans Paasche über seine Erlebnisse im »Maji-Maji«-Aufstand

Die alte Kolonialpolitik stand mit den Wundern der Tropen und den Bildern nackter Neger im Zeichen alldeutschen Fühlens. Höherstehende Rasse, Herrenmenschen, Kulturpioniere brachten den minderwertigen Farbigen die Segnungen der Zivilisation. Der Wilde bekam das Vorrecht, geprügelt zu werden. Im Stile Alt-Heidelberg nahte sich der Deutsche dem Palmenstrand. Als Korpsstudent, Reserveoffizier. Schlagend, voll Ehrgefühl, bierselig und ohne Kenntnis der Liebe. (…)

Es ist so unsinnig, Menschen zu erschießen und zu erschlagen, ganz unsinnig aber, wenn es sich, wie immer am Ende des Krieges herausstellt, dass nicht einmal das eine sicher war: Es war dein Feind, den du tötetest! Oft töten die Krieger aus Angst um ihr eigenes Leben (…). Eines Tages wurden wir aus dem Hinterhalt beschossen und hatten Tote. Es war nur eine Stimme: Die Gefangenen von diesem Tage müssen erschossen werden. Sofort muss das geschehen, wenn wir hier hinauskommen wollen, Schwäche würde uns und das ganze Land gefährden, und es ist so Brauch. Allen leuchtete es ein, dass es recht sei, die Gefangenen zu morden. Es gab keine Grenze zwischen Notwehr und Mord. So ist die Seelenverfassung von uns schwachen Menschen im Kriege. Scharfmacherei, Mordlust, Mitleidlosigkeit, Gereiztheit regieren.

Aus: Hans Paasche: »Ändert Euren Sinn!« Schriften eines Revolutionärs. Hg. von Helmut Donat und Helga Paasche, Bremen 1992, Donat Verlag, 15,40 Euro. Bestellungen über: info@donat-verlag.de



Als der deutsche Publizist und Abenteurer Carl Peters im Jahr 1884 die »Gesellschaft für deutsche Kolonisation« gründete, lehnten selbst dezidiert prokolonialistische Kräfte in Deutschland seine Ambitionen ab. Peters schwebte eine deutsche Kolonie zwischen den von Großbritannien und Portugal beanspruchten Teilen Ostafrikas vor. Dennoch schloss Peters noch im selben Jahr auf eigene Faust die ersten »Schutzverträge« mit lokalen Herrschern und Würdenträgern ab. Bei diesen Dokumenten handelte es sich um Abkommen, die von den Afrikanern ohne genaue Kenntnis des Inhalts unterzeichnet wurden. Peters versprach seinen »Vertragspartnern« Schutz vor Feinden und bekam im Gegenzug Zustimmung zu weitreichenden Rechten für die von ihm repräsentierte Kolonialgesellschaft. Diese durfte nun den Dokumenten zufolge Truppen ins Land schicken, eine Verwaltung aufbauen, Steuern erheben und vieles mehr. Kurz: Die »Schutzverträge« waren nichts anderes als eine mit Hilfe von leeren Versprechungen und Lügen durchgesetzte Abtretung der Souveränität ganzer Landstriche an die selbsternannten neuen Kolonialherren.

Obwohl Peters’ erste kolonisatorische Schritte auf dem Gebiet des heutigen Tansania von Politik und in Afrika engagierten deutschen Firmen zunächst abgelehnt wurde, blieb er hartnäckig. Der Vorsitzende des bald in »Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft« umbenannten Kolonialvereins drohte schließlich damit, sich zwecks Partnerschaft bei der kolonialen Erschließung Ostafrikas an den belgischen König zu wenden. Daraufhin lenkten die maßgeblichen Kräfte in Deutschland ein. Reichskanzler Otto von Bismarck stellte Peters kaiserliche Schutzbriefe aus, die die Grundlage der politischen Etablierung der Kolonie Deutsch-Ostafrika darstellten.

Bestrafungsfeldzüge

Der bis 1891 andauernde Prozess der Kolonisierung und Grenzziehung der neuen Kolonie war nicht nur von Auseinandersetzungen mit den kolonialen Konkurrenten Großbritannien und Portugal geprägt. Von Beginn an kam es auch zu Widerstandshandlungen und Aufständen der lokalen Bevölkerung. Eine der ersten großen Erhebungen war der in deutschen Dokumenten so genannte Araberaufstand zwischen 1888 und 1890 als Reaktion auf das Auftreten eines neuen Akteurs an der Küste des heutigen Tansania. Die einfache Bevölkerung, aber auch Händler und sonstige Geschäftstreibende lehnten die deutschen Ansprüche und nicht zuletzt auch das herrische Verhalten der neuen Kolonialherren ab und erhoben die Waffen gegen diese. Paradoxerweise half Carl Peters der frühe Aufstand in seinen Bemühungen. Da seine »Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft« der Lage nicht Herr werden konnte, entsandte das Deutsche Reich Marinesoldaten und eine Söldnertruppe unter dem Kommando Hermann von Wissmanns. Bis zur formellen Übernahme der Kontrolle der Petersschen Kolonie durch den deutschen Staat war es dann nur mehr ein kleiner Schritt, der 1891 schließlich abgegangen wurde.

Während der folgenden Jahre wurde die deutsche Kolonialherrschaft auf dem Gebiet des heutigen Tansania, Ruanda und Burundi gefestigt. Die deutsche »Schutztruppe« führte nicht weniger als 61 Feldzüge zur »Bestrafung« und Unterwerfung der Bevölkerung dieser Regionen durch. Die Gewalt, verbunden mit ökonomischen Zwangsmaßnahmen, ließen den Unmut der Menschen weiter wachsen. Insbesondere die Neugestaltung der ökonomischen Verhältnisse durch die Einführung neuer Steuern, die wiederum mit einem Arbeitszwang verbunden waren, führten zu neuen Widerstandsbewegungen.

Verbrannte Erde

Aufgrund des offenbaren Versagens traditioneller religiöser Vorstellungen als Schutz gegen die europäischen Eindringlinge hatten auch neue Ideologien Hochkonjunktur unter der Bevölkerung. Als besonders folgenreich sollten sich die Ideen des »Heilers« Kinjikitile Ngwale erweisen. Dieser behauptete, über magische Kräfte zu verfügen und von einem Geist besessen zu sein. Ngwale sagte einen erfolgreichen Kampf gegen die Europäer voraus. Diesen könnten die Einheimischen gewinnen, da er über die Geheimwaffe des Maji-Maji verfüge. »Maji« ist der Swahili-Ausdruck für Wasser. Ngwale behauptete, mit seinem Zauberwasser würden die Aufständischen unverwundbar, selbst die Kugeln der deutschen Kolonialtruppen könnten den Kämpfern nichts anhaben.

Der Maji-Maji-Kult verbreitete sich rasch in vielen Regionen Deutsch-Ostafrikas. Bemerkenswert dabei war, dass verschiedene ethnische Gruppen sich hinter der neuen Ideologie versammelten; ein Teil der Prophezeiung Ngwales war die Vision der Überwindung traditioneller Clangrenzen. Dies bedeutete eine entscheidende Stärkung der Widerstandsbewegung gegen die deutschen Kolonialherren. So begannen die Vorbereitungen für den bewaffneten Kampf. Bald gab es jedoch auch erste Festnahmen von Personen, die neue Anhänger des Widerstandskults rekrutierten – den Deutschen waren die Versammlungen und die Organisierungsanstrengungen nicht verborgen geblieben.

Als im Juli 1905 der bewaffnete Kampf schließlich aufgenommen wurde, war die Bewegung so stark, dass die ersten Monate des Aufstands erfolgreich verliefen. Erst im Herbst 1905 begann sich das Blatt zu wenden. Die deutsche Kolonialverwaltung hatte nun Schutz- und Hilfstruppen mobilisiert und Verstärkung herangeholt. Der Rachefeldzug begann. Angesichts der Erfolge des Gegners und der offensichtlichen Wirkungslosigkeit des Maji-Maji-Zaubers schritt die Demoralisierung der Aufständischen rasch voran. Dennoch wurde ein Guerillakrieg fortgeführt, der trotz der militärischen Überlegenheit der Kolonialherren und ihrer Hilfstruppen erst drei Jahre nach Beginn des Aufstands vollständig niedergeschlagen wurde.

Die koloniale Kriegführung bestand in der Taktik der »verbrannten Erde«: Dörfer und Felder wurden von den Schutz- und Hilfstruppen gnadenlos geplündert. Was nicht fortgeschafft werden konnte, wurde abgefackelt. Dies führte nicht nur zu einer Abnahme der Unterstützung des Aufstandes durch die Bevölkerung, sondern auch zum Abschneiden der Versorgung der Aufständischen. Folge der deutschen Kriegführung waren eine Hungersnot und eine langfristige ökonomische Krise, von der die gesamte Region betroffen war. Die meisten Opfer der Niederschlagung des Aufstands starben nicht bei Kämpfen, sondern verhungerten. Bis zu 300.000 Menschen starben im Verlauf des Aufstands und in den folgenden Jahren. 15 Europäer und ein paar hundert Angehörige der auf deutscher Seite kämpfenden einheimischen Hilfstruppen wurden von den Aufständischen getötet.

* Aus: junge Welt, Samstag 18. Juli 2015


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