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Arktis, Atlantik und Krim

Neue Marinedoktrin Russlands stellt Nord- und Westgrenzen ins Zentrum der Aktivitäten

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Arktis, Atlantik und Krim zählen nun zu den wichtigsten Interessen der russischen Politik. Präsident Wladimir Putin hat die bereits Anfang des Jahres ausgearbeitete neue Marinedoktrin bestätigt.

Für halbe Sachen ist Wladimir Putin nicht zu haben. Schon gar nicht, wenn es um das Allerheiligste geht: Die Sicherheit von Mutter Heimat. Dazu hatte der Kremlchef erst im vergangenen Dezember mit seiner Unterschrift eine neue Militärdoktrin in Kraft gesetzt. Jetzt, pünktlich zu dem am Sonntag gefeierten Tag der Seekriegsflotte, legte er mit einem Seestück nach: Der Neufassung der 14 Jahre zuvor verabschiedeten Marinedoktrin.

Sie, so der mit der Öffentlichkeitsarbeit damit betraute und für Rüstung zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin, trage der neuen geopolitischen Situation im Allgemeinen und den Änderungen im Verhältnis Russland-NATO im Besonderen Rechnung. »Hart und entschlossen« werde Russland an der Festigung seines Status’ als Seemacht arbeiten. Vor allem in der Arktis, im Atlantik und in der Antarktis. Diese sei in letzter Zeit »Schauplatz von Entwicklungen, die für Russland äußerst interessant« sind. Gemeint waren vor allem die dort entdeckten Rohstoffvorkommen.

Riesige Öl- und Gasfelder im Nördlichen Eismeer, auf die alle Pol-Anrainer Anspruch erheben, waren auch der Grund dafür, dass die Arktis in der neuen Marinedoktrin zur absoluten Priorität aufrückt. Dazu kommt, dass Moskau sich über das durch den Klimawandel zunehmend ganzjährig eisfreie Nordpolarmeer einen ungehinderten Zugang zu Pazifik und Atlantik für die russischen Seekriegsflotte bewahren will. Ein Problem, das so alt ist wie die von Peter I. vor 300 Jahren auf Kiel gelegte Marine selbst.

Auch deshalb drängt der Westen - nach dem Rückfall in die Zeit des Kalten Krieges mit besonderer Vehemenz - auf »Internationalisierung« des von Russland kontrollierten Nördlichen Seewegs. Moskau spricht von einem Angriff auf die staatliche Souveränität. Um Bedrohungen zu begegnen, soll die Nordmeerflotte aufgestockt werden.

Priorität Nummer zwei ist geballte Marine-Präsenz Russlands im Atlantik und dessen Randmeeren. Die Doktrin begründet das mit Verschlechterung der Beziehungen zu den europäischen NATO-Staaten, vor allem zu den osteuropäischen Neuzugängen der Allianz. Von denen sind die meisten direkte Nachbarn Russlands. Moskau, so heißt es in dem 46-seitigen Dokument wörtlich, werde NATO-Pläne zur Ausdehnung der militärischen Infrastruktur bis an russische Seegrenzen und militärisches Engagement in Regionen, die nicht zum Bündnisgebiet gehören, nicht hinnehmen.

Der Pazifik, wo die Sowjetunion wegen der mit Kernsprengköpfen bestückten Interkontinentalraketen der massiv präsenten US-Kriegsschiffe einst die größte Bedrohung vermutete, rangiert dagegen in der neuen Doktrin ebenso wie der Indische Ozean unter ferner liefen.

China ist Russlands strategischer Partner. Auch mit Indien - seit Anfang Juli Vollmitglied der Schanghai-Organisation, mit der Moskau langfristig Bedrohungen in Südostasien neutralisieren will - will Russland enger kooperieren. Auch im militärischen Bereich. Im Schwarzen und im Asowschen Meer dagegen will Russland seine Präsenz verstärken, vor allem um die Krim zu schützen.

Seefahrt tut also not. Schon 2011 lief ein Programm zur umfassenden Modernisierung der Seekriegsflotte an. Bis 2020 soll der Steuerzahler dafür um 4,7 Billionen Rubel (etwa 72 Milliarden Euro) erleichtert werden.

Ebbe in der Kriegskasse sorgte bei der Umsetzung schon für erheblichen Zeitverzug. Mit der neuen Doktrin, stänkerte die »Nesawissimaja Gaseta« per Leitartikel, seien der Große Steuermann und dessen Admiräle über weite Strecken wieder einmal der Versuchung erlegen, Wunschdenken für Realität auszugeben. Ziel des Kremls, so auch Alexander Konowalow vom Institut für strategische Bewertungen, sei Abschreckung. Die funktioniere indes nicht, wenn klar ist, dass die praktische Umsetzung an schnödem Mammon scheitern werde.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 29. Juli 2015


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