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Zittern um die Gefriertruhe

Die Nacht blieb schwarz. Die Kaffeemaschine aber auch, denn in Polen gab es mal wieder einen Stromausfall

Von Reinhard Lauterbach *

Es war Sonntag mittag, als die ersten Wolken aufzogen. Gegen drei begann es zu grummeln, kurz nach vier war der Himmel pechschwarz, und es fing an zu regnen. Zu regnen? Zu gießen. Zu schütten. Böen in Sturmstärke peitschten das Wasser waagerecht durch die Gegend und durch die Öffnungen gekippter Fenster. Keine fünf Minuten, nachdem es angefangen hatte, wurde es auch im Haus dunkel. Stromausfall.

Dass in Polen, und zwar in seinem »entwickelten« Teil kurz hinter der deutschen Grenze, der Strom ausfällt, ist nichts Neues. Zumal auf dem Lande. Man akzeptiert das wie das Wetter. Aus Kostengründen verlaufen die Leitungen auf Masten außerhalb der Städte. Deshalb fällt, kaum dass es etwas stärker weht, garantiert ein Baum auf ein Kabel, und (Kurz)Schluss ist. Wozu irgendwo anrufen und sich beschweren – das Licht kommt schon wieder.

Diesmal war es anders. Das Unwetter war nach einer halben Stunde vorbei, es folgte ein unschuldiger Sommerabend mit goldenem Licht und fliegenden Wolken. Doch der Strom blieb weg. Nachbarn hatten sich angesagt, andere kamen dazu, man verbrachte den Abend im Garten bei einbrechender Dämmerung unter angeregten Gesprächen. Als es um 22 Uhr dunkel wurde, zogen sich die Gäste zurück. Nachtschwärze folgte. Jetzt stellte sich heraus, dass man leider vergessen hatte, die Batterien der Taschenlampe rechtzeitig aufzuladen. Nur eine Kerze blieb, um den Weg ins Schlafzimmer zu erleuchten. So weit, so romantisch. Die Nacht blieb vorindustriell ruhig.

Der Montag morgen beginnt strahlend, mit einem frischen Wind aus Nordwest – nur leider nach wie vor ohne Elektrizität. Anruf vom Handy in der Redaktion: Mangels Internet heute nichts von meiner Seite. Zwangspausen sind auch Urlaub. Wohl dem, der Tee trinkt, denn das Wasser lässt sich auf dem Gasherd aufkochen; die italienische Kaffeemaschine dagegen bleibt dunkel und schweigt. Der Ortsvorsteher weiß keinen Termin, wann die Versorgung wieder einsetzt. Die Ladenbesitzerin hat zwar für ihre Kühltruhen ein eigenes Aggregat, das hinter ihrem Geschäft vor sich hin rattert. Aber nach 18 Stunden Dauerbetrieb macht sie sich Sorgen, wie lange die kleine Maschine noch durchhält. Informationen, wann die Lampen wieder angehen, hat sie nicht. Dafür erzählt sie Schauergeschichten aus der Region, die sie morgens beim Großhandel von Kollegen gehört hat: In einem benachbarten Städtchen habe es das Dach der renommierten örtlichen Brauerei abgedeckt. Das sei auf einem daneben stehenden Supermarkt gelandet und habe von diesem wenig übrig gelassen. Dort sei den Leuten gesagt worden, es könne 48 Stunden dauern, bis es wieder Strom gebe. Das kann ja lustig werden.

Irgendwann ruft eine Nachbarin an: Sie hätte endlich am Servicetelefon des regionalen Energieversorgers jemanden erreicht. Der habe angeblich noch gar nicht gewusst, dass in unserem Dorf der Strom ausgefallen sei. Man möge doch bitte auch mal dort anrufen, um der Sache Nachdruck zu verleihen. Die nächste Stunde gehört dem Andenken des Buchbinders Wanninger. Das Servicetelefon ist besetzt und erfreut mit Vivaldis »Frühling«, bevor man erfährt, dass man dort eh falsch ist. Die Festnetznummer des Energieversorgers führt zu einer genervten Dame, die mitteilt, das Unternehmen habe seine Monteure ausgegliedert an eine Firma namens »Energie- und Messtechnik«. Dort ist, nach fünf Minuten »Kleiner Nachtmusik« in der Warteschlange, die Disponentin nicht in der Lage, irgendwelche Termine für die Instandsetzung zu nennen. Die Nummer des Menschen, der das könnte, darf sie nicht herausgeben. Danach sind ohnehin alle Handybatterien erschöpft; glücklich, wer die kleinen Kisten an der Autobatterie aufladen kann. Die Stimmung wird langsam so hitzig, wie die Sonne geworden ist. Nicht einmal etwas essen kann man, denn jetzt den Kühlschrank aufzumachen, wäre das fatal. Aufbäumen kämpft gegen Fatalismus. Hat man nicht neulich einen Werbeprospekt für benzingetriebene Generatoren weggeworfen? Hätte man vielleicht nicht tun sollen. Umwelt und Weltklima werden einem egal, man will Strom. Und zwar jetzt!

Dann, am frühen Nachmittag: Ein Piep, die Kaffeemaschine schüttelt sich, am Kühlschrank pfeift das Alarmsignal, am Gefrierschrank ein zweites. Viel länger hätte die Panne für das Eisfach auch nicht dauern dürfen, dessen Innentemperatur ist auf knapp unter Null gestiegen. Quälend langsam geht die Anzeige wieder nach unten, ein Grad pro Stunde.

Es bleiben gute Vorsätze: Alle batteriegetriebenen Geräte immer aufgeladen halten, den Gefrierschrank zur Vorsicht auf minus 24 Grad programmieren, auch wenn das Energie verbraucht. Das erklärt nebenbei, warum der Versorger sich mit Reparaturen Zeit lassen kann. Er verdient immer, auch und gerade am Ausfall. Und es bleibt nach all der Aufregung eine kleine Vorfreude. Ein Stück Thunfisch aus dem Eis hat die Zeit ohne Elektrizität angetaut überstanden. Dazu ein gut gekühlter Rosé, und der Sommer kann weitergehen. Bis zum nächsten Gewitter.

* Aus: junge Welt, Samstag, 8. August 2015


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