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Wer folgt auf Mahmud Abbas?

In der PLO bringen sich potenzielle Nachfolger bereits in Stellung

Von Oliver Eberhardt *

In Palästina geht Präsident Abbas verschärft gegen Widersacher vor, die gleichzeitig ihre Aktivitäten verstärken. Es geht um die Nachfolge des 80-Jährigen, die der bei seinen Getreuen sehen will.

Viele Palästinenser hatten das Vertrauen in den Obersten Gerichtshof Palästinas verloren. Palästina sei kein Rechtsstaat, antworteten 88 Prozent der Befragten in einer vor drei Wochen veröffentlichten Umfrage. 57 Prozent wussten gar nicht, dass es so eine Einrichtung gibt.

Doch in der vergangenen Woche zeigte die Institution, die mangels potenzieller Kläger selten in Erscheinung tritt, ihre Macht; »ihre Entschlossenheit«, wie ein Sprecher der palästinensischen Juristenkammer sagt: Die Richter weigerten sich, die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Mohammed Dahlans anzuerkennen. Der war bis 2003 der allmächtige Sicherheitschef im Gaza-Streifen, war ein hochrangiger Funktionär der Fatah-Fraktion von Präsident Mahmud Abbas, bis er in Ungnade fiel, der Korruption beschuldigt wurde und ins Ausland floh. 2012 hob Abbas die parlamentarische Immunität Dahlans auf.

Dazu sei Abbas, so die Höchstrichter nun, gar nicht befugt gewesen. Denn der Präsident sei nach der Verfassung gar nicht zu einem solchen Schritt berechtigt; nur das Parlament selbst dürfe die Immunität eines Abgeordneten aufheben. Und das Parlament bleibe so lange im Amt, wie kein Neues gewählt sei. Eigentlich hätten die Parlamentswahlen am 17. Juli 2010 abgehalten werden müssen. Doch nachdem sich ab 2007 eine Parallelregierung der Hamas im Gaza-Streifen gebildet hatte, und die Hamas zudem bei der Parlamentswahl 2006 die absolute Mehrheit gewonnen hatte, zeigten Abbas und seine Fatah wenig Ambitionen, eine Wahl abhalten zu lassen. Das Präsidialamt stellte sich regelmäßig auf den Standpunkt, dass, weil das Parlament bereits seit Jahren nicht mehr getagt habe, Abbas Entscheidungen, die eigentlich dem Parlament vorbehalten sind, per Dekret regeln dürfe.

Das Urteil hat sehr weitreichende Folgen: Abbas ist 80 Jahre alt. Bislang hatten er und die Fatah die Frage seiner Nachfolge so weit wie möglich hinaus zögern wollen, um sie dann unter sich zu regeln. Schon vor einigen Wochen hatten sie damit begonnen, sämtliche parteiinternen Widersacher Abbas’ kaltzustellen. So wurde Jasser Abed Rabbo vom Posten des Generalsekretärs der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gefeuert, und durch Saeb Erekat, Chefunterhändler in Verhandlungen mit Israel, ersetzt. Offiziell heißt es, Rabbo habe seine Amtspflichten nicht erfüllt. Inoffiziell sagen PLO-Funktionäre, es habe daran gelegen, dass er sich auf die Seite von Salam Fajad, einem ehemaligen Regierungschef der Palästinenser, gestellt hat, dem auch Ambitionen auf die Präsidentschaft nachgesagt werden. Gleichzeitig wurde eine Stiftung Fajads durchsucht und deren Gelder eingefroren. Auch hier lautet der Vorwurf auf Korruption.

Angehörige des PLO-Exekutivkomitees geben offen zu, dass es dabei vor allem um die Nachfolge des Präsidenten geht. Wie nach dem Tod von Jasser Arafat 2004 sollte zunächst die Nummer zwei der PLO, also der Generalsekretär, zum PLO-Vorsitzenden aufsteigen, und damit kommissarischer Präsident werden, der dann möglicherweise in Wahlen bestätigt wird, vielleicht aber auch per Dekret einfach weiter regiert. Denn: »Wir müssen die Hamas von der Präsidentschaft fernhalten«, sagt ein PLO-Funktionär, das sei auch im Interesse des palästinensischen Volkes, dem ansonsten internationale Sanktionen wie jene nach den Parlamentswahlen 2006 drohten.

Mit dem Urteil des Obersten Gerichtshof ist das aber nicht mehr so ohne weiteres möglich. Sollte Abbas etwas zustoßen, würde gemäß dem Urteil der zur Zeit in Israel inhaftierte Parlamentssprecher Abd al-Aziz Duwaik kommissarischer Präsident, bis in einer Wahl ein regulärer Präsident gewählt gewählt sein würde. Es gibt einige Leute aus dem Umfeld von Präsident, Fatah und PLO, die in den vergangenen Tagen hinter vorgehaltener Hand anmerkten, man müsse sich ja nicht daran halten. Nur: Die Zustimmungsquote für Abbas liegt in der Bevölkerung bei aktuell sieben Prozent. Und der Kommandeur der palästinensischen Sicherheitskräfte, Generalmajor Nasser Jussef, machte am Freitag deutlich: »Meine Männer und ich werden das Urteil durchsetzen. Wir sind nur der Verfassung verpflichtet.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 13. Juli 2015


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