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Dichtung und Wahrheit

Zu einem Deal mit Luftabwehrsystem kommen aus Russland und Iran unterschiedliche Angaben

Von Knut Mellenthin *

Wenn iranische und russische Politiker über die Beziehungen zwischen ihren Ländern sprechen, tun sich oft seltsame Widersprüche auf. Die Verhandlungen über die Lieferung des russischen Luftabwehrsystems »S-300« seien »erfolgreich gewesen«, sagte Hossein Amir-Abdollahian am Montag nach Gesprächen in Moskau. Die Lieferung werde »schnellstmöglich« erfolgen. Abdollahian ist der für Arabische und Afrikanische Angelegenheiten zuständige stellvertretende Außenminister Irans.

In Moskau sieht man die Sache anscheinend etwas anders: Die Entscheidung über die Lieferung des Systems sei zwar gefallen, aber die Umsetzung werde noch etwas Zeit erfordern, sagte der stellvertretende Sekretär des Russischen Sicherheitsrats, Jewgeni Lukjanow, am Dienstag. Allerdings hatte Präsidentensprecher Dmitri Peskow schon vor sechs Wochen angedeutet, mit der Lieferung könne »jederzeit« begonnen werden. Zumindest hatte ihn die iranische Nachrichtenagentur FARS so interpretiert. In Wirklichkeit hatte Peskow jedoch nur gesagt, dass ein Erlass Wladimir Putins vom Vortag sofort mit Unterzeichnung in Kraft getreten sei.

Putin hatte am 13. April dieses Jahres ein vom seinem Amtsvorgänger Dimitri Medwedew im September 2010 angeordnetes Verbot aufgehoben, die »S-300« gemäß einem 2007 abgeschlossenen Kaufvertrag an den Iran zu liefern. Skeptiker in Russland hatten schon damals darauf hingewiesen, dass dieser Schritt keineswegs gleichbedeutend mit der sofortigen Umsetzung des inzwischen acht Jahre alten Abkommens sei. Erstens ist nicht unwahrscheinlich, dass Putin aus politischen Gründen abwartet, ob die Verhandlungen zwischen Teheran und der internationalen Sechsergruppe über das iranische Atomprogramm zu einer Einigung führen. Zweitens ist die bereits 1979 erstmals in Dienst gestellte »S-300« ein mittlerweile veraltetes System. Und drittens ist ungewiss, ob Russland davon überhaupt noch Exemplare vorrätig hat, denn die Produktion wurde mittlerweile eingestellt. Ob Russland andererseits bereit ist, dem Iran das effektivere Modell »S-400« zu verkaufen, dessen Lieferung an China im April vereinbart wurde, gehört vorläufig noch zu den offenen Fragen.

Unklarheit herrscht auch über ein anderes großes Thema: Im August 2014 hatten Russland und der Iran angeblich ein Riesengeschäft abgeschlossen, das einen Umfang von 20 Milliarden Dollar jährlich haben sollte. Im Austausch gegen eine riesige Menge Rohöl, die ungefähr 40 Prozent des gegenwärtigen iranischen Exports entspräche, wollte Russland den Iran unter anderem mit Getreide, Eisenbahnschienen, Lastkraftwagen, Baumaterial und Ölfördertechnologie beliefern. Da Russland selbst über riesige Mengen Erdöl verfügt und einer der führenden Exporteure der Welt ist, sollte es bei diesem Deal darum gehen, iranisches Öl mit Hilfe Russlands weiterzuverkaufen.

In Wirklichkeit war 2014 kein Vertrag, sondern nur ein unverbindliches und unpräzises »Memorandum« unterschrieben worden. Zwar behauptete Präsidentensprecher Peskow am 14. April dieses Jahres, die Umsetzung des Deals habe begonnen. Am selben Tag teilte Russlands Energieminister Alexander Nowak jedoch mit, es sei noch kein Öl aus dem Iran angekommen. Am 9. Mai klagte ein iranischer Vertreter gegenüber Journalisten, dass Russland bisher »unfähig« gewesen sei, iranisches Öl weiterzuverkaufen. Der Sprecher war Mohsen Kamsari, stellvertretender Direktor für internationale Angelegenheiten bei der staatlichen National Iranian Oil Company.

Nach Meldungen aus der vorigen Woche scheint das große Tauschgeschäft sich darauf zu reduzieren, dass Iran Milchprodukte, Fisch und Fleisch nach Russland liefern und dafür Getreide erhalten wird. Energieminister Nowak merkte dazu ausdrücklich an, das Abkommen sehe keine Öllieferungen vor. In der Luft hängt schließlich auch der im November 2014 voreilig gemeldete, in Wirklichkeit gar nicht geschlossene Vertrag über den Bau von bis zu acht russischen Atomkraftwerken im Iran. Im April brachten iranische Medien China als neuen Interessenten ins Spiel.

* Aus: junge Welt, Freitag, 29. Mai 2015


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