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Das Taxi und die Straße

Jafar Panahi führt die Konflikte der Islamischen Republik Iran auf engem Raum zusammen

Von Kai Köhler *

Manche Filme gewinnen ihre Spannung aus räumlicher Verdichtung: Leute, die eng zusammenhocken, geraten schnell in einen Konflikt, den sie dann auskämpfen müssen. Hierher gehört etwa das Genre des Gefängnisfilms. Das Roadmovie dagegen entwickelt sich mit dem Wechsel der Schauplätze, die stets Unerwartetes bringen können.

Das Taxi vereint die Vorzüge dieser beiden Strategien. Die Figuren müssen – wenigstens für einige Minuten – auf engstem Raum miteinander auskommen. Gleichzeitig erlaubt der rasche Wechsel von Personal und Schauplätzen ein umfassendes Gesellschaftsbild. Der iranische Regisseur Jafar Panahi, der von seiner Regierung mit Drehverbot belegt ist, hat diese Grundidee genutzt, um mit einfachsten Mitteln einen spannungsreichen Film herzustellen, der dann auf einem USB-Stick außer Landes gebracht wurde.

Die Kamera in »Taxi Teheran« zeigt zunächst den Fahrerblick durch die Windschutzscheibe, während sich unter den Fahrgästen (man teilt sich Taxis) die erste Diskussion entwickelt: Ein Mann fordert zur Abschreckung mehr Hinrichtungen von Dieben, eine Frau hält dagegen und zeigt Verständnis für Leute, die aus Not stehlen. Die Kamera dreht sich, man sieht das Wageninnere, die streitenden Personen und schließlich auch den Fahrer: gespielt vom Regisseur Panahi, der den Regisseur Panahi spielt, der, statt Filme zu drehen, nun Taxi fährt und von vielen der Fahrgäste sogleich erkannt wird.

Der Wechsel der Fahrgäste erlaubt ein hartes Gegeneinander der Stimmungen. Es gibt die politische Diskussion des Anfangs, und es gibt die Komödie eines Schwarzhändlers, der bei seinen Geschäften mit DVDs den berühmten Panahi als Partner ausgeben will. Einmontiert ist eine Beinahe-Tragödie, deren Personal aus einem bei einem Unfall verletzten Mann und seiner Frau besteht, die fürchtet, als Witwe mittellos dazustehen.

Ein Testament muss her, es fehlt an Papier, und der DVD-Händler hält sein Handy auf den Verletzten, der seinen Letzten Willen spricht. Hier wie auch später wird das Filmen gefilmt. Der Film unter den Bedingungen der Zensur wird Thema, als Panahis Nichte (Hana Saeidi) zusteigt; eine Schülerin, die virtuos schon die kapriziöse Dame zu geben weiß und mit einem Wettbewerb ihrer Schule beschäftigt ist. Es soll ein Film gedreht werden, aber nach strengen Regeln. Keine Berührungen zwischen Mann und Frau, nur die Bösen tragen Krawatten, die Guten aber islamische (und keine persischen) Vornamen usw.

Panahi filmt, wie die Nichte mit ihrer Kleinkamera ein Hochzeitspaar filmt, das dabei gefilmt wird, wie es ins geschmückte Hochzeitsauto steigt. Man weiß ja, dies ist der schönste Tag des Lebens; und so ist der Bräutigam derart auf seinen Auftritt für die gefilmte Ewigkeit fixiert, dass er nicht merkt, wie er Geld verliert. Ein Straßenjunge hebt das auf und steckt es ein. Dieser Moment des Egoismus verdirbt der Nichte die schöne Szene. Sie bemerkt es, überredet den armen Jungen sogar, für ihren konformen Film das Geld zurückzugeben. Doch die Brautleute, fixiert auf ihren Auftritt bemerken das Kind nicht oder tun so, weil sie den Jungen für einen lästigen Bettler halten.

Eine Lektion also, wenn nicht über Realismus, so doch über die Realität. Bis hier überzeugt »Taxi Teheran«, der Widersprüche des iranischen Alltags klug veranschaulicht. Im letzten Fünftel aber steigt – Zufall! – eine Menschenrechtsanwältin ein und berichtet über den Hungerstreik einer Gefangenen. Die Nichte erkundigt sich unmotiviert pseudonaiv, wieso denn der geforderte islamische Realismus so wenig mit der Realität zu tun habe – obwohl sie doch ein paar Minuten zuvor den Mechanismus sehr genau durchschaut und dem Straßenjungen abgefordert hatte. Schließlich versuchen, als das Taxi einmal verlassen dasteht, Agenten des Regimes, Filmmaterial zu stehlen.

Dies ist eine ästhetische Inkonsequenz, die den Film, der auf der Berlinale 2015 nicht zufällig den Goldenen Bären erhielt, beschädigt. Der Ansatz war, durch den Auftritt eines Ensembles von Fahrgästen die Probleme einer seit dreieinhalb Jahrzehnten islamistisch deformierten Gesellschaft zu zeigen. Am Ende geht es aber nicht mehr um Menschen, sondern um Thesen; und es fragt sich, ob die letzte dieser Thesen richtig ist. Eine Diktatur ist doch mindestens in der Lage, einen prominenten Kritiker wie Panahi lückenlos zu überwachen und dabei Dreharbeiten auch für einen Film ganz ohne Aufwand entweder zu verhindern oder das Material vor jeder Schnittfassung einzuziehen. Das scheint in diesem Fall, aus welchem Kalkül auch immer, nicht gewollt.

Das alles rechtfertigt nicht das Vorgehen der iranischen Regierung. Wenn der Iran in der Region mittlerweile wie ein Faktor der Vernunft wirkt, dann nur deshalb, weil der Westen und seine Verbündeten noch reaktionärere Banden hochpäppeln. Im Inneren hat die Islamische Republik mehr Linke ermordet als der westlich orientierte Schah in einem halben Jahrhundert zuvor. Es gibt da nichts zu verteidigen.

Jedenfalls bleibt es ein Film, der sehenswert ist, solange Panahi seiner grundlegenden Idee vertraut – der aber an überdeutlichen Erklärungen leidet, sobald er dem Bedürfnis nachgibt, politisch zu überreden.

»Taxi Teheran«, Regie: Jafar Panahi, Iran 2015, 82 min, bereits angelaufen

* Aus: junge Welt, Montag, 27. Juli 2015


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