Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Varoufakis kritisiert Presse: "Das war ein Rufmordversuch"

Griechischer Finanzminister trifft Schäuble und Gysi / Kipping: SYRIZA hat Rückendeckdeckung der Linkspartei / Ringen um Kreditprogramm geht weiter / Bericht: Athen überarbeitet 47-Seiten-Plan / Erneutes Treffen Tsipras, Merkel und Hollande am Mittwoch


Update 17.55 Uhr: »Die Krise des Euroraums ist nicht überwunden, solange die Situation Griechenlands noch ungeklärt ist. Wege aus dieser Krise zu finden, die den gesamten Euroraum nach wie vor wirtschaftlich und vor allem politisch belastet, ist deshalb aller Mühen wert«, so beschreibt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Siftung ihr Motiv, mit Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis ins Gespräch zu kommen. »Ein Streit, der sich auf den Austausch nationaler Klischees stützt, wird dem nicht gerecht. Notwendig ist vielmehr eine offene und kritische Debatte der europäischen Zivilgesellschaft, die die europäische Perspektive nicht aus den Augen verliert.« Die Veranstaltung ist wegen des großen Interesses ausgebucht. Den Vortrag von Varoufakis und die anschließende Debatte können auch im Livestream verfolgt werden.

Update 16.20 Uhr: Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis hat den Gläubigern in einem Zeitungsinterview vorgeworfen, im Streit um das blockierte Kreditprogramm eine Einigung mit Griechenland zu torpedieren. Zu den beiden vergangene Woche vorgelegten Papieren von EU-Kommission, EZB und IWF sagte er dem »Tagesspiegel«, einen »solchen Vorschlag macht man nur, wenn man eigentlich gar keine Vereinbarung will«. Alle »über Monate ausgehandelten Annäherungen« hätten die Gläubiger mit Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vergangene Woche »zurückgenommen« und nun würden sie das Gleiche fordern wie zu Beginn der Verhandlungen. Varoufakis kritisierte zudem, dass die Gläubiger bisher keinen Vorschlag zur langfristigen Lösung der Krise akzeptiert oder vorgelegt hätten: »Wir wollen nicht einen zusätzlichen Euro für den griechischen Staat. Aber wir schlagen vor, dass die Schulden innerhalb der drei Troika-Institutionen umgeschichtet werden«, so der griechische Minister. Er erneuerte die Forderung, die in den kommenden Jahren fällig werdenden Anleihen Griechenlands bei der EZB auf den Rettungsfonds ESM umzulegen und die dort ab 2021 fälligen Zins- und Tilgungszahlungen ans Wachstum zu koppeln. Ohne Lösung dieser Fragen werde keine Vereinbarung unterschrieben, so Varoufakis. Er kritisierte im »Tagesspiegel« zudem einen Teil der Presseberichterstattung über seine Person. »Das war ein Rufmordversuch, das ist die einzige Erklärung«, sagte er. Es heiße, wenn der Krieg beginne, dann sterbe die Wahrheit als erstes. »Und leider haben unsere europäischen Partner und die Institutionen die Möglichkeit verpasst, unser Angebot zu nutzen, die Verhandlungen als Beratung zwischen Partnern zu sehen, sondern haben sie in einen Krieg gegen uns verwandelt.«

Update 16.05 Uhr: Yanis Varoufakis hat nach Gesprächen in Berlin von den Gläubigern mehr Willen zum Kompromiss gefordert, zugleich aber die eigene Rolle auf dem Weg zu einer Einigung um das blockierte Kreditprogramm angesprochen. »Wir haben die große Verantwortung, unsere Differenzen zu überwinden und zu der Einigung zu kommen, die alle von uns erwarten«, sagte der griechische Finanzminister vor dem Hintergrund anhaltender Auseinandersetzungen zwischen den Gläubigern und Athen. Es sei »Zeit, dass wir unseren Job machen«, und es solle damit aufgehört werden, »mit dem Finger aufeinander zu zeigen«. Varoufakis war zuvor mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sowie Politikern der Linkspartei und der Grünen zusammengetroffen. Zum Inhalt der Gespräche mit Schäuble äußerte er sich nicht. Ebenso wie ein Sprecher des Finanzministeriums verwies er auf die vereinbarte Vertraulichkeit. »Das Gespräch der beiden Minister war offen und konstruktiv; es verlief in freundlicher Atmosphäre«, sagte der Ministeriumssprecher lediglich. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit den Fraktions- und Parteichefs der Linkspartei, Gregor Gysi und Katja Kipping, vor der Presse verwies Varoufakis darauf, dass die europäischen Institutionen vielen Studien zufolge in den vergangenen Jahren an Vertrauen eingebüßt hätten. Dieses Vertrauen der Menschen in Europa müsse die EU-Kommission zurückgewinnen. Gysi sagte, alle Verantwortlichen in Europa müssten begreifen, »dass ein Regierungswechsel gewählt worden ist in Griechenland«. Wenn jetzt von der neuen Regierung eine Fortsetzung der alten Politik verlangt werde, »dann brauchen wir keine Wahlen in Europa«. Alle Seiten müssten jetzt aufeinander zugehen. Auch müssten die Reichen in Griechenland finanziell stärker mit herangezogen werden. Kipping sagte, es gehe bei den Verhandlungen der EU-Partner mit Griechenland um die Frage, ob in der EU Abweichungen von einem strikt neoliberalen Kurs möglich seien. Insofern gehe es hier »auch um die Demokratie in Europa«. Sie sagte Varoufakis die Unterstützung der deutschen Linkspartei zu und kritisierte das Vorgehen der Bundesregierung, die in Griechenland durch ihr Handeln »die humanitäre Katastrophe verstärkt«.

Update 15.45 Uhr: Für eine Einigung im Streit um das Kreditprogramm für Griechenland bleibt laut Bundeskanzlerin Angela Merkel nur noch wenig Zeit. Zum Abschluss des G7-Gipfels in Elmau sagte die CDU-Politikerin: »Jeder Tag zählt jetzt. Es ist nicht mehr viel Zeit, das ist das Problem.«

Ringen um blockiertes Kreditprogramm geht weiter

Berlin. Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis ist am Montag mit seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble in Berlin zusammengetroffen. Es sei ein »langes und konstruktives Gespräch« gewesen, wird der Politiker der SYRIZA-geführte Regierung in Athen von der griechischen Zeitung »Capital« zitiert. Bei dem Treffen handle es sich um ein »reines Gespräch«, hatte zuvor ein Sprecher von Schäubles Ministerium erklärt. Ein öffentlicher Termin sei nicht geplant. Bei seiner Ankunft in Berlin war Varoufakis kommentarlos an wartenden Journalisten vorbeigegangen.

Am Montagabend will der Grieche in der Hauptstadt eine Rede vor der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung halten. Zuvor trifft er auch mit der Spitze der Linksfraktion im Bundestag zusammen, für den späten Mittag ist eine Pressekonferenz mit Varoufakis und Linksfraktionschef Gregor Gysi angesetzt. Ein Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel war entgegen früheren Angaben aus Griechenland nicht geplant, wie das SPD-geführte Ministerium mitteilte.

Derweil geht das Ringen um das von den Gläubigern blockierte laufende Kreditprogramm für Griechenland weiter. Am Montag reiste der Athener Vize-Außenminister und Wirtschaftssprecher der Regierung, Euclides Tsakalotos, nach Brüssel. Er solle dort die unter anderem das Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Premier Alexis Tsipras und dem französischen Präsidenten François Hollande vorbereiten. Die drei wollen sich am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels am Mittwoch treffen.

Zuvor hatten Berichte über neuerlich verhärtete Fronten im Streit zwischen den Gläubigern und der Regierung in Griechenland die Runde gemacht. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte Tsipas am Rande des G7-Gipfels vorgeworfen, zwei Fristen zur Vorlage einer zugesagten überarbeiteten Liste mit Maßnahmen versäumt zu haben, die Athen umsetzen soll, um das blockierte Geld aus dem Kreditprogramm zu erhalten. Stattdessen habe Tsipras im griechischen Parlament Dinge erzählt, die nicht dem Verhandlungsstand entsprächen, meinte Juncker. »Um Freundschaften zu führen, muss man einige Mindestregeln einhalten.«

Berichten zufolge soll Juncker wegen der Verärgerung auch eine Bitte von Tsipras um ein Telefonat zurückgewiesen. Eine Sprecherin der Kommission hatte bestätigt, dass der griechische Regierungschef um ein Gespräch gebeten habe, dieses habe aber am Samstag nicht stattgefunden. Der Sprecher der SYRIZA-geführten Regierung, Gavriil Sakellaridis, wies diese Behauptung am Montag zurück. »Streit mit Juncker? Schlimmer kann es nicht werden«, hieß es dennoch am Montag in einem Radiokommentar in Athen. In Athener Regierungskreisen wurde derweil darauf verwiesen, dass Tsipras keine Fristen habe verstreichen lassen, weil es diese gar nicht gegeben habe.

Zu Beginn der vorigen Woche hatte sich Juncker in Berlin mit Merkel, Hollande sowie den Spitzen von Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank, Christine Lagarde und Mario Draghi, getroffen, um einen Vorschlag zur Beilegung des Streits um das blockierte Kreditprogramm zu machen. Die Athener Regierung legte ihrerseits ein 47-seitiges Papier mit einem Plan vor, wie die soziale und wirtschaftliche Krise Griechenlands gelöst werden soll.

Zwischen beiden Papieren gibt es in wichtigen Fragen – etwa bei der Höhe des angepeilten Primärüberschusses im Athener Haushalt oder bei der Mehrwertsteuer-Reform – Differenzen. Nach einem Gespräch mit Juncker und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem erklärte Tsipras am Donnerstag, sein eigener Vorschlag bleibe »der einzig realistische Vorschlag auf dem Tisch«. Einige Vorschläge der Gläubiger wies er als »absurd« zurück – die SYRIZA-geführte Regierung werde »unter keinen Umständen« Forderungen zustimmen, die auf Rentenkürzungen oder Belastungen ärmerer Haushalte hinausliefen. Auch Varoufakis kritisierte die Gläubiger ebenfalls. Der Tageszeitung »Proto Thema« sagte er, die jüngsten Bedingungen seien »an der Grenze zur Beleidigung« und »eine aggressive Geste mit dem Ziel, die Regierung zu terrorisieren«.

Derweil berichtet die griechische Zeitung »Kathimerini«, die Athener Regierung sei dabei, ihren 47-seitigen Plan zu überarbeiten. Das Blatt schreibt, die SYRIZA-geführte Regierung konzentriere sich dabei auf die Anpassung der steuerlichen Maßnahmen mit dem Ziel. Es gebe auch die Bereitschaft, beim Primärüberschuss-Ziel die eigenen Vorschläge noch einmal zu erhöhen - Athen strebt bisher für das laufende Jahr 0,6 Prozent des BIP und 1,5 Prozent im nächsten Jahr an, die »Institutionen« wollen inzwischen Ziele von 1 Prozent für 2015 und 2 Prozent für 2016 vereinbaren. In Fragen der Rentenreform und der Arbeitsmarktgesetze bleibe es bei deutlichen Differenzen, so »Kathimerini«.

Aus dem laufenden Kreditprogramm erwartet Athen noch ausstehende Zahlungen sowie EZB-Zinsgewinne in Höhe von 7,2 Milliarden Euro. Diese werden nicht freigegeben, solange Athen nicht bestimmte Bedingungen erfüllt - eine politische Blockade. Über diese gibt es seit Wochen Streit. Die Zeit wird allerdings knapp, da Griechenland das Geld ausgeht: Insgesamt sind im Juni etwa 1,55 Milliarden Euro beim IWF fällig. Diese sollen gebündelt zum Monatsende zurückgezahlt werden. Seit August 2014 hat Athen keine Auszahlungen aus dem laufenden und bis Ende Juni 2015 verlängerten Kreditprogramm erhalten. Die Gläubiger pochen auf Bedingungen, die SYRIZA nicht erfüllen will. Tatsächlich hat die Regierung in Athen immer mehr Zugeständnisse gemacht.

* Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juni 2015


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur Griechenland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Medien-Seite

Zur Medien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage