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Umverteilung gebremst

Ecuador: Opposition macht gegen "Bürgerrevolution" mobil. Streik Mitte August geplant

Von Lena Kreymann *

Am Mittwoch abend (Ortszeit) sind in der ecuadorianischen Stadt Guayaquil vor den Redaktionsräumen der staatlichen Zeitung El Telégrafo und des privaten Blattes El Universo zwei »Flugblattbomben« explodiert. Verletzt wurde nach Angaben des Innenministeriums niemand, auch ein materieller Schaden entstand nicht. Vielmehr verteilten sich vor den Gebäuden Flugblätter der »Nationalen Befreiungsfront«. Darin bekennt sich diese zu einem Anschlag auf das Gebäude der Regierungspartei »Alianza PAIS« vor zweieinhalb Wochen in der Hafenstadt, um deren Mitglieder daran zu erinnern, dass sie »Anhänger eines opportunistischen Diktators« seien. »Das war die erste Salve. Wir werden unsere Kader weiter mit Jugendlichen verstärken, die mit der verlorenen Zeit unzufrieden sind und für ein besseres Ecuador kämpfen wollen«, heißt es darin.

Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa verurteilte am Donnerstag die Attacken als Teil eines »weichen Staatsstreichs«. »In der Opposition arbeiten verschiedene Kräfte zusammen: eine Rechte, die weiß, was sie tun muss, um ihre Macht zurückzugewinnen und eine Linke, die sich von der Rechten instrumentalisieren lässt«, erklärte er.

Seit April dieses Jahres gehen in Ecuador regelmäßig Regierungsgegner auf die Straße, verstärkt finden die Demonstrationen seit Juni statt. Der ecuadorianische Botschafter in Deutschland, Jorge Jurado, erklärte am Donnerstag in Berlin auf einer Veranstaltung zu den Oppositionsaktivitäten, die Protestierenden hätten Correas Abwesenheit ausgenutzt, als dieser in Brüssel Mitte Juni als Präsident des lateinamerikanischen Staatenbündnisses CELAC dessen Konferenz mit der Europäischen Union besuchte. In dieser Zeit war es zu mehrtägigen gewaltsamen Demonstrationen gekommen, bei denen mindestens zwei Polizisten und ein ehemaliger Minister verletzt worden waren.

Wie El Telégrafo Mitte Juli berichtete, hat die »Koordination der Arbeiter, Indigenen, Bauern und Volksorganisationen« (Cutcop) für den 13. August zum landesweiten Generalstreik aufgerufen. In dem Bündnis haben sich verschiedene Gewerkschaften und Indigenenverbände wie die einflussreiche CONAIE zusammengeschlossen. Vor dem Streik soll es bereits mobilisierende Aktionen geben.

Anlass des Unmuts der Opposition ist eine geplante Steuerreform. Die Gesetzesentwürfe sehen eine neue Erbschaftssteuer sowie eine »Veräußerungsgewinnsteuer« vor. Letztere soll durch Abgaben auf Wertzuwachs von Grundstücken Immobilienspekulation vorbeugen. Erstere würde ein seit 1927 bestehendes Recht ersetzen und eine progressiv gestaffelte Steuer einführen, je nach Höhe des Erbes. Betroffen davon sind die Eliten des Landes: Laut einer Präsentation der ecuadorianischen Botschaft erhalten nur drei von 1.000 Ecuadorianern überhaupt ein Erbe und nur 0,03 Prozent einen Betrag, der 35.400 US-Dollar übersteigt. Mit dem Vorhaben will die Regierung nun auf eine Umverteilung von oben nach unten hinwirken. Die Ecuadorianerin Lucía Muriel von der Migrantenorganisation MoveGlobal e.V. bezeichnete das geplante Projekt deshalb am Donnerstag in Berlin als den bislang »revolutionärsten Aspekt« der fortschrittlichen Entwicklung in Ecuador, der sogenannten Bürgerrevolution. Jurado erklärte, insbesondere die mittleren und oberen Schichten würden sich nun über die sozialen Netzwerke zusammenschließen, um »den politischen Prozess zu stoppen«.

Als Reaktion auf die Proteste hat die Regierung die Vorlagen Mitte Juni zeitweise zurückgezogen und zum Dialog aufgerufen. Bürgerräte, Gewerkschaften, Universitäten und soziale Organisationen sollen darüber diskutieren, wie der starken Reichtumskonzentration entgegengewirkt werden kann. Um auch Unorganisierte zu erreichen, ist ein Internetportal eingerichtet worden.

* Aus: junge Welt, Samstag, 1. August 2015


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