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"Der Besitz des Filetstücks Ukraine würde viele Möglichkeiten eröffnen"

Rede von Uta Deitert beim Ostermarsch 2014 in Würzburg *

Liebe Freundinnen und Freunde,

"Die Waffen nieder!" - so aktuell wie eh und je und offenbar so vergeblich. Nun brennt die Ukraine, und niemand weiß, wohin das noch führt. Dabei begann doch alles mit einem hehren Ziel: Das Land sollte einen selbstbestimmten Weg in die Zukunft gehen, zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand in der EU. Und nun wird dieses hehre Ziel von Putins Moskau und seinen hysterischen Handlangern auf der Krim und in der Ostukraine auf übelste Weise hintertrieben. Erhebliche Zweifel an dieser Schwarz-Weiß Sicht sind angebracht!

Schauen wir zurück: Nach dem weitgehend friedlichen Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes gab es die einmalige Chance, eine neue europäische Sicherheitsordnung zu errichten, in der man die legitimen Sicherheitsbedürfnisse aller Staaten gleichberechtigt hätte berücksichtigen und vertraglich regeln können; das "Gemeinsame Haus Europa bauen" hatte Gorbatschow das genannt. Kalter Krieg und Blockkonfrontation wären endlich begraben gewesen, die NATO wäre überflüssig geworden. Tatsächlich gab es nie ein solches Angebot an Russland, stattdessen wurde dessen Schwäche ausgenutzt, um das Machtungleichgewicht zu erhalten und zu vergrößern. Die vom damaligen US-Außenminister Baker und Genscher mündlich an Gorbatschow gegebene Zusage, die NATO nicht nach Osten hin zu erweitern wurde schnell gebrochen. Inzwischen ist die NATO von 16 auf 28 Staaten angewachsen, davon 6 ehemalige sowjetische Verbündete und 3 ehemalige Sowjetrepubliken. Jedes mal wurde der russische Protest ignoriert, auch nachdem Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 einen deutlich schärferen Ton angeschlagen hatte.

Mit dem Griff nach der Ukraine aber ist eine neue Qualität erreicht. Sie grenzt direkt an Russland, ist kulturell und wirtschaftlich besonders eng mit Moskau verbunden und sie ist für Russland von herausragender militärstrategischer Bedeutung - einmal wegen der Krim als Stationierungsort der Schwarzmeerflotte. Ebenso wichtig aber ist - und das sagen US-Analysten - "Sollte Russland Weißrussland und die Ukraine verlieren, verlöre es damit auch die Fähigkeit, das russische Kernland zu verteidigen. Wer Osteuropa kontrolliert, kontrolliert den gesamten eurasischen Kontinent." Darum will Russland das Land in seiner Zollunion, die es als Gegengewicht zur EU mit Weißrussland einrichten will. Zudem haben 77% der ukrainischen Bevölkerung Russisch als Muttersprache, 3 Millionen arbeiten in Russland, genau so viele wie im Westen. Das Land unterhält intensive Handelsbeziehungen mit beiden Seiten, wobei es aber nach Westen nur Rohstoffe liefert, nach Russland Maschinen, Fahrzeuge und Lebensmittel, also viel mehr verarbeitete Güter, was für den ukrainischen Arbeitsmarkt sicher besser ist. Immer in seiner Geschichte war das Land innerlich hin-und hergerissen zwischen West-und Ostorientierung, und eigentlich hätte es sich verboten, mit der Wahl zwischen russischer Zollunion und EU-Assoziierung auch noch das äußere Zerreißen zu riskieren, genau das ist aber nun geschehen und von beiden Seiten wird weiter gezerrt.

Natürlich war das übers Knie gebrochene Referendum auf der Krim mehr als fragwürdig, die Annektierung durch Moskau ein klarer Völkerrechtsbruch, und vieles spricht dafür, dass auch in der Ostukraine von Seiten Moskaus geschürt wird anstatt den eigenen Einfluss zur Deeskalation zu nutzen. Aber ein demokratisches Ruhmesblatt war es auch nicht, als der erste Teil des im Land so umstrittenen Assoziierungs-Vertrages von der nicht legitimierten Übergangsregierung und der EU Ende März bereits unterschrieben worden ist. Warum die Eile, die die Situation doch auch nur verschärft? Das Nicht-unterschreiben des immerhin rechtmäßig gewählten Janukowitsch war doch der Auslöser der Krise. Man fragt sich auch, warum die EU Regierungen so schnell bereit waren, das im Februar geschlossene Abkommen mit Janukowitsch sausen zu lassen. Darin waren bis zu Neuwahlen im Mai eine Regierung der nationalen Einheit und eine Verfassungsreform vorgesehen gewesen, Putin hatte Janukowitsch zur Annahme bewegt und würde es noch immer als Verhandlungsbasis anerkennen. Stunden später wurde es vom Maidan weggefegt ohne jeden westlichen Protest. Von Neuwahlen ist seitdem gar nicht mehr die Rede, stattdessen wird stillschweigend akzeptiert, dass 11 rechtsradikale Swoboda Mitglieder in der Regierung sitzen; zu Zeiten der Maidan-Proteste hatte die EU noch vor denen gewarnt, jetzt sind sie Partner. Der ehemalige Erweiterungskommissar Verheugen empört sich heftig über diesen Tabubruch, mit dem die EU "zum ersten Mal völkische Ideologen, richtige Faschisten in einer Regierung" hinnimmt.

Der Grund ist wohl, dass auch der Westen dieses "geopolitische Filetstück" - so bezeichnet es der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Brejinski nicht mehr loslassen will. Immerhin haben die USA dafür seit 1991 5 Mrd. $ investiert, auch die EU hat Millionen reingesteckt u.a. hat die Konrad Adenauer Stiftung in Kiew die Klitschko Partei ins Leben gerufen und ihn als Kandidaten aufgebaut. Der Besitz dieses Filetstücks würde viele Möglichkeiten eröffnen: Zugang zu Energieressourcen auch am Kaspischen Meer, Kontrolle der Ost-West Energietrassen, Bau von Alternativtrassen um unabhängiger von Russland zu werden, Erschließung neuer Absatzmärkte, und last not least die endgültige Degradierung Russlands.

"Wenn die Ukraine überleben und prosperieren soll, kann sie weder Vorposten des Westens noch des Ostens sein, sie sollte die Brücke zwischen beiden sein." das hat Henry Kissinger in einem Artikel für die Washington Post geschrieben. Das Filetstück hat nur in der Neutralität eine Zukunft.

Was ist nun notwendig um Frieden und Sicherheit für alle zu erreichen?
  • Kategorische Blockfreiheit der Ukraine und aller an Russland angrenzender Staaten muss vertraglich festgelegt werden
  • Verbindliche Absage der NATO an jegliche militärischen Maßnahmen
  • Wiederbelebung des "Gemeinsamen Hauses Europa" unter dem Dach einer gestärkten OSZE
  • Kein Auf-und Ausbau der sog. Raketenabwehr
  • Kein Anheizen der Sanktionsspirale
  • Kein Ausschluss Russlands aus der G8, der Gesprächsfaden darf nicht abreißen, wir brauchen Russland für die Lösung aller Krisen
  • Stopp aller deutschen Rüstungsexporte nach Russland und Ukraine
  • Es muss endlich Schluss sein mit dem macht-und wirtschaftspolitischen Konfrontationskurs. Frieden ist nur in ehrlicher partnerschaftlicher Kooperation mit Russland möglich.
Uta Deitert ist aktiv in der Friedensbewegung in Würzburg. Ostermarsch 2014 in Würzburg am 19. April.


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